: Das sogenannte Orgien-Mysterien-Theater
■ Der Streit um Hermann Nitsch in Frankfurt ist noch nicht ausgestanden
Der hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Wolfgang Gerhardt (FDP), hat „nach intensiver Prüfung“ die Berufung Hermann Nitschs zum ordentlichen Professor für „Interdisziplinäres“, die von der Frankfurter Städelschule vorgeschlagen worden war, abgelehnt. Nach Auffassung Gerhardts entspricht Nitsch nicht den Anforderungen dieser in Hessen einmaligen Professur, weil „sein bisheriges Wirken auf das sogenannte Orgien-Mysterien-Theater verengt“ sei. Ausführlich geht die Presseerklärung des Ministeriums auf das von Nitsch seit fast dreißig Jahren praktizierte „OM -Theater“ ein, in dem „Menschenkörper zusammen mit Blut, Gedärm, Innereien und Kot vorgeführt und zu bloßen Aktionsobjekten“ degradiert würden. Diese „Ästhetik der Gewalt“ sei sowohl unter künstlerischen als auch unter pädagogischen Aspekten bedenklich und bilde - als „zentralen Bezugspunkt seines Fühlens, Denkens und Schaffens“ - eine zu schmale Basis für die interdisziplinäre Professur an der Städel-Schule, die „das breite Spektrum Neuer Medien mit den klassischen Disziplinen der Kunst“ verbinden solle.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Hessischen Landtag, Joschka Fischer, protestierte dagegen, daß „künstlerische Entscheidungen von den Geschmacksnerven eines Ministers bestimmt“ würden. Damit werde ein Präzedenzfall geschaffen, der in Zukunft auch andere Eingriffe in die Autonomie künstlerischer Arbeit legitimieren könnte. Man müsse scharf zwischen inhaltlicher Diskussion über Nitschs Arbeit - „olle Kamellen“, sagte Grünen-Sprecher Dick gegenüber der taz und ministerieller Unzuständigkeit für die Beurteilung künstlerischer Fragen unterscheiden. „Ein völlig normaler Vorgang“ ist dies dagegen für den Ministeriumssprecher Methlow. Der Minister müsse schließlich eine Begründung für seine Entscheidung abgeben. Daß die von der im April des Jahres entfachte Medienkampagne - „Aspekte“, TTT (HR) und Peter Iden (FR) - beeinflußt worden sein könnte, bestritt Methlow. Die „Frankfurter Neue Presse“ sieht das gewiß anders: Einen Tag nach dem grünen Protest titelte sie: „Joschka Fischer will Blut sehen!“ Der Leiter der Städel -Schule, Professor Kasper König, zeigte sich überrascht von der Entscheidung des Ministeriums. Jeder Künstler beschäftige sich mit einem „verengten“ Teilbereich, wobei gerade Hermann Nitsch den Anspruch auf ein Gesamtkunstwerk erhebe, sagte er der taz. Offensichtlich habe Minister Gerhardt politischem Druck nachgegeben. Nach einem Gespräch mit Hermann Nitsch werde die Städel-Schule in dieser Woche eine Erklärung veröffentlichen und möglicherweise ein weiteres Gespräch mit Minister Gerhardt führen, der um einen neuen Vorschlag für die interdisziplinäre Professur gebeten hat. Welchen Vorschlag die Städel-Schule dem Minister machen wird, weiß Kasper König selbst noch nicht. Unterdessen lehrt Hermann Nitsch - ohne Beamtenstatus - als Dozent auf der verweigerten Professur.
Reinhard Mohr
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