Fußballfestival in Namausha

Fußball spielt eine wichtige Rolle in Tusole, einem selbstverwalteten Entwicklungsprojekt in Sambia  ■  Aus Namausha Verena Mörath

Es ist früher Samstag nachmittag. Das heißt, it's football time überall auf der Welt. Im Maracana-Stadion toben die Massen, die Parkplätze am Rheinstadion sind dicht, die Fernseher laufen. Auch in Sambia wird heute Fußball gespielt. Um genauer zu sein, in Namausha, ein Dorf südlich der Hauptstadt Lusaka.

Allerdings geht es hier nicht um Bundesligapunkte oder um die Qualifikation für die Weltmeisterschaft. Es ist eine Vorführung für vier Gäste aus Deutschland. Sie sollen nicht gehen, ohne den „Tusole Fußballklub“ bewundert zu haben. Tusole ist ein Begriff der Tonga-Sprache und heißt: „Laßt es uns versuchen!“ Es ist der Name des örtlichen selbstverwalteten Entwicklungsprojekts, das 1.500 Mitglieder hat.

Die Frauen von unserem Gastgehöft sitzen schon im Zuschauerraum, der aus Sitzbalken besteht, die an den Längsseiten des Spielfeldes aufgestellt sind. Aus allen Richtungen tauchen kleine und große Grüppchen auf. Viele mußten zwei bis drei Stunden Fußmarsch auf sich nehmen, um hier herzukommen. Die Frauen winken und locken uns mit gerösteten Maiskolben. Ob es immer so voll sei beim Fußball, frage ich: „Nein, nicht immer, aber heute wollen alle die Gäste sehen und begrüßen.“ Erdnüsse werden herumgereicht, Männer und Frauen sitzen, stehen, reden miteinander. Natürlich, wie es sich hier gehört, getrennt. Immer wieder kommt ein kleiner Imbiß bei uns an.

Das Spiel ist schon längst im Gang. Die nächste dreiviertel Stunde bemühe ich mich herauszufinden, durch welches Merkmal die beiden Mannschaften auseinanderzuhalten sind. Es gibt zwei Tore, ohne Netz zwar, aber als solche zu erkennen. Auch das Fußballfeld ist so groß, wie es wohl sein sollte. Eine Mannschaft spielt ohne Hemd, die andere mit, die archaischste Form der Unterscheidung zweier Fußballteams. Tänzerisch geht der Ball hin und her und... fast! Ganz langsam rollt der Ball aufs Tor zu, und nur der Sprint eines Geistesgegenwärtigen verhindert einen Treffer. Es wäre ein Eigentor gewesen. Egal, denn Bewunderung verdienen die Spieler schon allein dafür, daß sie bei dieser Hitze von einer Seite zur anderen rasen und dabei jede Menge aufgewirbelten Staub schlucken. Ab und zu hebt sich ein Arm aus dem Wirrwarr. Wohl der Schiedsrichter, mutmaße ich.

Die Frauen scheinen sich mehr für Neuankömmlinge zu interessieren als für den Spielverlauf. Meine Nachbarinnen stehen immer wieder auf, um andere zu begrüßen und Neuigkeiten auszutauschen. Auch ich habe während der nächsten Minuten keine Gelegenheit, mich in Sachen Fußball weiterzubilden, denn die Frauen wollen wissen, wie es um die deutschen Männer steht. Vernon Hagwama, unser Ansprechpartner und Übersetzer, zukünftiger „Chief“ von Tusole, hat wohl recht, wenn er sagt: „Fußball hat vorrangig die Funktion, die Dorfbewohner zusammenzubringen.“

Die Männer jedoch beobachten konzentriert das Spielgeschehen und feuern die Akteure an. Nach einem Eckball, der die wartenden Füße nicht erreicht, sondern abgefangen wird, beschließt man, das Showspiel zu beenden. Vernon, jetzt mit seinem weißen Kittel bekleidet, den er immer dann anzieht, wenn er eine Ansprache hält, winkt uns zu. Gemeinsam gehen wir auf das Spielfeld. Die zwei Teams hocken auf dem Boden, alle naßgeschwitzt und noch außer Atem. Nein, wie hochbezahlte Bundesligaspieler sehen sie aus der Nähe wirklich nicht aus. Die meisten tragen zerschlissenene Turnschuhe, viele sind barfuß.

Mit unmißverständlicher Geste bittet Vernon um Ruhe: „Das sind unsere Freunde aus Deutschland und wir sind stolz, sie bei uns begrüßen zu dürfen.“ Wie auf Kommando klatschen alle, wir antworten mit Gegenapplaus. In seiner Ansprache hebt Vernon die Bedeutung des Fußballs für die Entwicklung der community hervor. Ohne diesen Sport könnte Tusole praktisch nicht existieren. Sport ist hier ein Ansatz zur Selbsthilfe.

Einen Augenblick lang sehe ich die Spieler in richtigen Trikots, auf denen in fetten Buchstaben Tusole steht, vor mir, beschuht mit vernünftigen Fußballtretern. Der Schiedsrichter ist ausgerüstet mit einer blinkenden Trillerpfeife, zu seinen Füßen liegt ein Netz voller Trainingsbälle und nicht ein rissiges Leder-Ei. So ähnlich sieht wohl auch der Zukunftstraum aus, der die jungen Männer anregen soll, einen gezielten Ehrgeiz zu entwickeln. Gemeinsam lernen sie, Ideen und Strategien zu entwickeln, wie sie an die Sachen kommen, die der Fußballklub benötigt. Die Erfahrung, daß Eigeninitiative zum Ziel führen kann, soll auf andere Vorhaben, die das ganze Dorf betreffen, übertragen werden. „Das erste, was wir lernen müssen, um unser Situation verbessern zu können, ist: Warten auf Hilfe von außen nützt nichts! Gerade unsere jungen Leute müssen lernen, sich selbst zu helfen. Das Abwandern in die Städte ist keine Lösung. Hier auf dem Land ist auch was los, da kann man mehr als nur überleben.“ Vernon Hagwama läßt seine abschließenden Worte nachklingen, dann folgt der Fototermin. Die Mannschaften rücken zum Gruppenbild zusammen und grinsen breit.

Schließlich beginnt das Abschlußfest. Die Trommler von Tusole zeigen ihre Künste, und ein junger Mann mit einer selbstgebastelten Gitarre spielt und singt mit seinen Freunden. In Namausha dauert ein Fußballspiel zweifellos erheblich länger als neunzig Minuten.