Psycho-Kongreß als Politthriller

Psychiater aus mehr als 70 Ländern tagen in der griechischen Hauptstadt Athen / Zentrales Thema auf dem Kongreß: Der Antrag der sowjetischen Psychiater um Wiederaufnahme in den „Weltverband der Psychiatrie“  ■  Aus Athen Rolf Stadler

Seit Tagen tummeln sich etwa 3.500 Psychiater aus 71 Staaten in der griechischen Hauptstadt Athen. Nach sechsjähriger Pause veranstaltet hier der „Weltverband für Psychiatrie“ (WVP) vom 12. bis zum 19. Oktober seinen 8. Internationalen Kongreß. Im „Stadion der Freundschaft und des Friedens“ wird ein Monsterprogramm von durchschnittlich 70 Veranstaltungen pro Tag durchgezogen. Sie stehen unter dem etwas wässerigen Hauptthema „Psychiatrie heute. Erfüllungen und Erwartungen“.

Bei einer Durchsicht des 500 Seiten starken Tagungsprogramms deutet nichts darauf hin, daß den Kongreß unter dem Wust wissenschaftlicher Auseinandersetzungen von einem politischen Konflikt beherrscht wird: Soll dem Antrag der „Sowjetischen Psychiatrischen Gesellschaft“ auf Wiederaufnahme in den „Weltverband der Psychiatrie“ stattgegeben werden oder nicht.

Die sowjetischen Psychiater hatten sich im Jahre 1983, kurz vor Beginn des 7. Internationalen Kongresses in Wien, vorsorglich vom Weltverband verabschiedet. Sie wollten dadurch wohl einem Ausschluß aus der Organisation zuvorzukommen. Vertreter der sowjetischen Gesellschaft waren damals in zahlreichen Fällen angeklagt, hauptverantwortlich zu sein für den Mißbrauch der Psychiatrie zu politischen Zwecken in den sogenannten Spezialkliniken der UdSSR. Dieselben Psychiater, die damals bei ihrem Austritt von einer „verleumderischen Kampagne von ganz offensichtlich politischer Natur“ sprachen, klopfen nun wieder an die Tür des Weltverbandes. Und bis auf wenige personelle Veränderungen blieb die Zusammensetzung des Exekutivkomitees der „Sowjetischen Gesellschaft für Psychiatrie“ jedoch seit 1983 unverändert.

Die Vorwürfe, die man immer wieder gegen Psychiatrie in der Sowjetunion erhoben hatte, wurden in der Zwischenzeit sogar von den sowjetischen Medien bestätigt. Im Zuge der Politik von Perestroika und Glasnost tauchten in Tageszeitungen und Zeitschriften wie 'Izwestja‘, 'Kommunist‘ und 'Ogonjok‘ vermehrt Berichte auf, die die Internierung von sowjetischen Regimegegnern in psychiatrischen Kliniken des Landes anprangern.

Auf die Tatsache, daß diese Methoden keinesfalls der Vergangenheit angehören, weist auf dem Kongreß in Athen vor allem die „International Association on the Political Use of Psychiatry“ (IAPUP) hin. Trotz vieler Verbesserungen in den letzten Jahren sei „die Struktur der 'politischen Psychiatrie‘ als Politik, initiiert und unterstützt von den sowjetischen Behörden, noch immer intakt“. Mit einer Wiederaufnahme der Sowjetunion in den WVP würde - so die IAPUP - nur der Rehabilitierung „krimineller Psychiater“ Vorschub geleistet.

Über den Antrag der UdSSR wird morgen in einer Generalversammlung aller Mitglieder entschieden. Der sechsköpfige Exekutivausschuß des Weltverbandes sprach sich in einem Mehrheitsbeschluß bereits im Vorfeld für eine Wiederaufnahme der sowjetischen Gesellschaft aus. Die schärfsten Gegner kommen aus den Reihen der USA, Großbritanniens und Brasiliens.

Sinnvoll und aufmunternd für die junge Psychiatergeneration der Perestroika in der UdSSR könnte eine Wiederaufnahme auf alle Fälle nur dann sein, wenn zumindest als Grundbedingung dafür vom WVP eine Ablösung der belasteten alten Garde der „Sowjetischen Psychiatrischen Gesellschaft“ gefordert würde.