Grüne kämpfen um ihre pazifistische Unschuld

Eine Gruppe um den Abgeordneten Hubert Kleinert will die Friedens- und Verteidigungspolitik der Partei neu diskutieren / Vor dem Hintergrund einer Nato-Debatte neuer Qualität geht es um „Defensivierung“ der Bundeswehr oder soziale Verteidigung  ■  Von Jürgen Gottschlich

Berlin (taz) - Der Antrag der Abgeordneten der Grünen im Bonner Verteidigungsausschuß, Gertrud Schilling, war kurz und klar: „Der Einzelplan 14 ist insgesamt zu streichen.“ Begründung: „Im Einzelplan 14 ist nicht ein einziger Posten, der dem Frieden dient.“ Kein Wunder, denn der Einzelplan 14, ausgestattet mit runden 60 Milliarden Mark, ist das Kernstück des bundesdeutschen Verteidigungshaushaltes.

Schon immer träumten die Grünen davon, was mit diesem Geld alles zu machen wäre, doch ist die Partei insgesamt bescheidener als die Abgeordnete Schilling. Um 35 Prozent, so die geltende Beschlußlage, soll der Verteidigungsetat gekappt werden - eventuell gestreckt über eine Legislaturperiode. Da erstaunt es nicht, daß durch die Partei ein mittlerer Aufschrei ging, als ihr Haushaltsexperte Hubert Kleinert im September einen sogenannten Abrüstungshaushalt '90 präsentierte, der plötzlich nur noch ein Streichvolumen von 9 Milliarden DM also selbst bei großzügiger Bemessung aller Verteidigungsausgaben nicht einmal 10 Prozent - enthielt.

Zu allem Überfluß hatte Kleinert in seinen Vorschlag noch eine „Duftnote“ (so sein parteiinterner Widersacher Tay Eich) eingebaut, die die Friedenspolitiker der Grünen endgültig auf die Palme brachte: Der Haushaltsansatz für das fliegende Milliardengrab der Luftwaffe, den Tornado, soll sogar erhöht werden.

Panzerbrechende Munition

für den Frieden?

Wenn manche Grüne es auch gerne so sehen wollen, Kleinert und sein Mitstreiter Wolfgang Bruckmann bestreiten heftig, daß es ihnen lediglich um die Lust an der Provokation ging, oder, schlimmer noch, sie sich ein Ei von der SPD ins Nest hätten legen lassen. Die Tornado-Geschichte, davon ist Alfred Mechtersheimer überzeugt, hat denen doch der SPD -Sicherheitsexperte Lutz Unterseher eingeredet - und wenn schon, meint Kleinert, deshalb muß sie doch nicht gleich falsch sein. Es gehe schließlich nicht um den Tornado als solchen, sondern um einen Tornado, der, entsprechend umgerüstet, Bestandteil einer defensivierten Bundeswehr werden könne.

Damit ist das entscheidende Stichwort genannt: Kleinert und Bruckmann wollen weg von der reinen linearen Budgetkürzung des Verteidigungshaushaltes. Statt dessen sollen Abrüstungsschritte her, die die Bundeswehr Schritt für Schritt „strukturell angriffsunfähig“ machen, wie es im Jargon der Militärdoktrinen heißt. Mit diesem Ziel vor Augen, so Bruckmann, könne man nicht einfach Mittel streichen, sondern müsse eventuell sogar bestimmte Ausgabenposten erhöhen, um bestehende Systeme umzurüsten oder defensive Waffen, beispielsweise panzerbrechende Munition, in größeren Mengen anzuschaffen.

„Plumpe Anbiederung an die SPD“, war die häufigste Reaktion auf diese Überlegungen, „als atemberaubend opportunistische Anbiederung an herkömmliche Militär- und Rüstungspolitik“ bezeichnete Petra Kelly den Kleinertschen Vorschlag. Doch Kleinert fühlt sich völlig unschuldig. Er habe keinen Wunschkatalog aufgestellt, sondern versucht, einen „praktikablen Weg einzelner Abrüstungsschritte aufzuzeigen. Dieser Weg orientiert sich strikt an den heute vorhandenen Realitäten“.

Sozialdemokrat Voigt gießt Öl ins Feuer

Über Art und Umfang einzelner Abrüstungsschritte könne man ja durchaus reden, meint Tay Eich, der neben Gertrud Schilling für die Grünen im Verteidigungsausschuß sitzt, Umrüstung sei mit ihm jedoch nicht zu machen. Für Eich führt die ideologische Debatte, ob die Grünen nun die soziale Verteidigung, also den zivilen Ungehorsam möglichen Okkupanten gegenüber, oder eine defensive Verteidigung anstreben sollen, im Moment nicht weiter. Allerdings wolle das Gerede von der Defensivierung der Bundeswehr signalisieren, daß in Europa bei einem möglichen militärischen Konflikt noch etwas militärisch verteidigt werden könne. Angesichts der Besiedlungs- und Industriedichte eine absurde Vorstellung, so Eich.

Während die Debatte bei den Grünen noch vor sich hinschwelte, goß Carsten Voigt, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, am Donnerstag letzter Woche Öl ins Feuer. Eine Analyse der grünen Friedenspolitik mache klar: Entweder die Grünen meinen das Koalitionsangebot an die SPD ernst oder ihre Beschlüsse. Beides gehe nicht. Falls die Grünen, so Voigt, „reformerische Gemeinsamkeiten“ anstrebten, impliziere dies die Preisgabe jeglichen außen- und sicherheitspolitischen Fundamentalismus für die Dauer der Regierungskoalition.

Der grüne Fraktionsvorstand reagierte auf die Voigtsche Herausforderung erst einmal abwehrend. Voigt habe den Grünen gar nichts vorzuschreiben. Falls es nach den Wahlen eine rot -grüne Mehrheit gebe, müsse sich die SPD genauso bewegen wie die Grünen.

„Amy stay here?“ als Parole gegen die Reps?

Intern wird jedoch durchaus auf innerparteiliche Klärung gedrängt. Zum einen bekam im letzten halben Jahr die Diskussion um die Nato eine ganz neue Qualität. Angesichts wachsenden Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik und dem Wiederaufleben deutscher Großmachtträume als Konsequenz der Veränderungen in Osteuropa wird der Kreis derjenigen immer größer, die darauf verweisen, daß die Nato nicht zuletzt die Funktion hat, deutsche Alleingänge in Richtung Osten zu verhindern.

Selbst der mit der Hamburger linken Fraktion der Grünen eng liierte 'Konkret'-Herausgeber Hermann Gremliza sah sich erst jüngst zu der Forderung gedrängt: „Amy stay here“. Zum anderen erhalten die Befürworter militärischer Defensivkonzepte Rückenwind durch die Veränderungen im Warschauer Pakt. Die von Gorbatschow jetzt übernommene Doktrin der Schaffung angriffsunfähiger Armeen sucht nach ihrer praktischen Entsprechung im Westen.

Zu recht verweisen die Befürworter dieser Strategie bei den Grünen darauf, daß die Argumente grüner Fundis und militärischer Nato-Hardlinern sich teilweise decken: Die Defensivierung würde Krieg wieder möglich machen. Daraus folgt für die einen, wir brauchen die Atomwaffen, für die anderen, die Armeen gehören eben abgeschafft. Im Ergebnis bleibt es bei Atomwaffen. Um diesen Zustand zu beenden, will Bruckmann die verschiedenen grünen Fraktionen jetzt an einen „runden Tisch“ bekommen. Für den Verteidigungshaushalt 1990 ist das alles aber noch ohne Belang. „Da stimmen dann ja doch alle, wie Gertrud Schilling vorgeschlagen hat“, meint Tay Eich.