Schwarzer Rabe flieg

■ Walter Mompers Tiere der Heimat / Heute der Rabe / In West-Berlin überwintern Tausende in Parks und auf Friedhöfen / Sie haben ein schlechtes Image, galten als Hexen- und Totenvögel, sind aber nützlich, gesellig und zu Spaß aufgelegt

Wenn man im Winter im Jahnpark, im Humboldthain oder sonstwo spazieren geht, fallen einem jedes Jahr die vielen Rabenvögel auf. Das ist auf den innerstädtischen Grünflächen genauso, wie auf den im Winterschlaf liegenden Feldern der freien Landschaft am Stadtrand, wie in Lübars oder Rudow. Ein Teil der Raben lebt ganzjährig in der Stadt, aber die größere Populationsdichte in den Wintermonaten rührt daher, daß viele im Norden und im Osten ansässige Vögel den weniger harten Winter in Mitteleuropa vorziehen und sich zu den heimischen Exemplaren dazugesellen. Im Berliner Raum überwintern besonders gern Raben aus dem Baltikum. Alle Rabenvögel sind gesellige Tiere und Angehörigen fremder Schwärme recht aufgeschlossen, so daß Einheimische und Gäste gut miteinander auskommen.

Die Raben und Krähen stehen in unseren Breiten seit langer Zeit in einem schlechten Ruf. Es gibt keine Hexe ohne einen Raben auf der Schulter! Hexen waren in der germanischen Naturreligion heilkundige Priesterinnen. Aber mit der Christianisierung wurde die alte Religion verdammt, und so geriet der Rabe zusammen mit den Hexen in Verruf. Sein massenhaftes Auftreten auf bestellten Feldern verstärkte die Ablehnung, denn ganz augenscheinlich machte er sich ja über die Saat her. So wurde er zum Feind der Bauern.

In den letzten Jahrzehnten jedoch wurden die Naturbeobachtungen gründlicher durchgeführt, und der Augenschein oft genug eben nur als Schein entlarvt. So hat man erkannt, daß die Raben und namentlich die Saatkrähen sich mitnichten rein pflanzlich ernähren. Zu ihrem Speiseplan gehören vor allem Insekten sowie Würmer und Schnecken. Selbst Mäuse werden von ihnen gefangen. Dadurch nützen sie mehr, als daß sie schaden.

Wie die meisten gesellig lebenden Tiere, haben die Raben ein ausgefeiltes Gesellschaftsleben. Wenn sich die Saatkrähen morgens in der Dämmerung von ihren Schlafbäumen lösen und zur Nahrungssuche auf die Felder fliegen, beginnt ein ständiges Palaver. Sie treffen nämlich Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip, das ganz demokratisch anmutet. Mit zwei verschiedenen Rufen geben die Krähen entweder ihre Lust oder Unlust zu fliegen bekannt. Erst wenn sich eine Dreiviertelmehrheit findet, die nicht weiterfliegen will, setzt der Schwarm zur Landung an.

Bei den zusammengesetzten Schwärmen im Winter kann es vorkommen, daß nicht alle Tiere der Mehrheit folgen. Dann handelt es sich um unerfahrene Exemplare, die als Gäste von weither gekommen sind und die den heimischen Dialekt noch nicht verstehen. Denn auch das gibt es bei den Saatkrähen, daß sie keine gemeinsame Sprache sprechen.

Wenn man einmal Zeit und Lust dazu hat, Raben zu beobachten, kann man viel Interessantes und auch Lustiges erleben. Ich bin einmal in meinem Stadtpark auf eine Saatkrähe aufmerksam geworden, die einen mächtigen Lärm veranstaltete. Plötzlich flog sie mit einem Gegenstand im Schnabel auf. In der Luft ließ sie ihn fallen. Sofort darauf stürzte sie ihm hinterdrein und konnte ihn wieder auffangen. Das Spielen machte ihr einen solchen Spaß, daß sie die ganze Angelegenheit noch einmal wiederholte. Und wieder schaffte sie es, die Schwerkraft zu überlisten. Mit dem Triumphgekreisch der Erfolgreichen zog sie dann davon.

Rita Rabe