Sächsismus auf allen Kanälen tut not!

■ Warum wir jetzt sächselnde Fernseh- und HörfunkansagerInnen brauchen / Ein Plädoyer für audio-mediale Integration / Berlin könnte den Anfang machen / Was wird aus Karl-Eduard von Schnitzler?

Das erste Argument ist zwar nicht sehr ernst, aber überzeugend. Man stelle sich mit geschlossenen Augen vor, ein eingeborener Sachse spräche das Berliner Lieblings-wort „multikulturell“ auch so aus (muldiguldurell). Ruhig ein bißchen Zeit nehmen. Keine Wirkung? Gut! Neuer Versuch mit „Deeskalationsstrategie“ und „Katalysator“.

Präsenz sächsischer PräsentatorInnen in unseren audiovisuellen Medien. Eine bislang unterdrückte und unterschlagene Forderung. Zu Unrecht, denn sie zielt keineswegs nur auf reine Unterhaltungswerte, Kulturschöckchen oder landsmannschaftliche Häme ab. Nein! Es geht auch um innere, höhere Werte. Denn wie auch bei den Hunderttausenden sogenannter Gastarbeiter (eigentlich: Einwanderer) werden auch unsere Neubürger aus Ungarn -Österreich zunächst einmal nur als Arbeitskräfte, Fleißbolzen, Steuerzahler, Konsumenten, Renten-Retter und konvertierte Kommunisten begrüßt, nicht etwa als Menschen, die auch eine eigene Kultur (Guldur) repräsentieren.

Noch emphatischer werden die rechtblütigen Republikflüchtigen natürlich als bananen- und spoilergeile Arbeitsplatzklauer, Lohndrücker, Wohnungsbesetzer, Sozialhilfeempfänger - kurz: blonde Türken - empfangen. Der sächsische Ton in West-TV und -Radio könnte zum Abbau dieses pragmatischen Rassismus und Kolonialismus (nicht nur unter grundgesetzdeutschen Brüdern und Schwestern) beitragen. Arbeitsplätze würde die Maßnahme sowieso schaffen. Und sie ginge auch ein wenig gegen die blanke Langeweile an, die all die Brustbilder in bunt, ob Brosche oder Halstuch, ob Rrrrreiberrr (völkisch) oder Törzs (Intellekt-Schwatz) ausstrahlen, weil sie im Gegensatz zu anderen TV-Figuren, z.B. Else Kling (Lindenstraße) völlig geschichts- und gesichtslos sind. Eben keine Nachbarn.

Auch die Vorstellung, daß demnächst Fernsehansagen mit Untertiteln versehen und Hörfunkmoderationen simultan übersetzt werden müssen, ist amüsant und trägt zum Abbau medialer Schummerwelten bei. Irritation: Ankermann Hajo Friedrichs holt, Leipziger Platzwunden zählend, wiedermal zum Todesschlag gegen das SED-Saurier-Regime aus, da folgt eine sächsische Nachrichtensprecherin und verliest eine Meldung über die steigende Anzahl erfrorener und verhungerter Obdachloser in der BRD. Oder: ein Ost-Zuschauer gerät aus Versehen in die Aktuelle Kamera, zappt vor Schreck um auf West, landet in der Moderation eines sächsischen ZDF -Ansagers, schaltet schnell zurück ins DDR-Soft-Porno -Programm, langweilt sich, flüchtet zurück zum Privat -Kommerziellen: doch da lauert nur das breite Sächsisch der neuen gesamtdeutschen SAT 1 Sex-Beraterin.

Der goldene Westen ist untergegangen. Der böse Osten auch. Wie sollte Karl-Eduard von Schnitzler in Zukunft BRD -Filmschnippsel rekommentieren, wenn dauernd saxo -hochdeutsche Lautschrifthilfen eingeblendet sind und auf der Tonspur die Leipziger Herkunft der Sprecherin deutlich hörbar ist? Endlich klingt Johnny Kleins Propaganda, vom Tagesschau-Sprecher aus Halle verlesen, auch so wie sie ist. Nämlich auch nicht viel besser als die Berichte der Aktuellen Kamera über Planrekorde in Braunkohlekombinaten und Plaste VEBs. Wo wachen wir morgens auf, wenn es aus dem Radiowecker breitsächselt: „Jos Ärtinger Weisbia dossis halde Bracht falleroa. Deitschland is scheene. Seine Lannschaften diebisch, seine Boauwärke weldberiehmt“? Wiedervereinigung, Nein. Sächsismus tut not.

kotte