Schatten auf der Seele

■ „Es gibt mich noch“ - Folteropfer unserer Zeit

(22.30 Uhr, West 3) Ein Satz genügt, um Senem Camlibels Leidensweg zu erzählen: „Es gibt mich noch.“ Der Rest ist Schweigen. Es beschreibt, warum Folteropfer häufig nicht mehr darüber reden können, was ihnen widerfahren ist. Seitdem Senem Camlibel in türkischen Gefängnissen malträtiert wurde, nur weil sie Kurdin und Mitglied der Lehrergewerkschaft war, trägt sie „Schatten auf der Seele“, die sich nie mehr lösen werden.

Ein Satz genügt, aber ein Film braucht mehr als nur diesen einen. Deshalb ist das Porträt eines Folteropfers ebenso schwierig wie fragwürdig, weil es zwangsläufig zum schmerzlichen Erinnern kommt, das oft in einer Wiederauflage der Qualen endet und nur selten lohnt. Meistens sind solche Beiträge mit beliebigen Bildern versehen, die den persönlichen Schmerz des Betroffenen ebenfalls in der Beliebigkeit verschlucken. Wer sich trotzdem dazu entschließt, einen Film über Folteropfer zu realisieren, muß sich der Verantwortung bewußt sein und Wege finden, die das Intime der Begegnung zwischen Filmemacher und Gepeinigtem ernst nehmen.

Klaus Antes hat etwas gewagt, das ungewöhnlich und doch so naheliegend ist. Statt unpersönlicher Statthalter-Bilder aus dem Archiv, zu denen Senem Camlibel ihre Geschichte vorgetragen hätte, nimmt er die Situation, so wie sie ist. Ein schlichter Raum, kaltes, blaues Licht, eine Hängelampe im Schlagschatten: alles vorsichtige Symbole, die auf das Unfaßbare hinweisen, dem die junge Lehrerin ausgesetzt war. Senem Camlibel bleibt bei sich, und die Kamera bleibt bei ihr, flüchtet nicht in eine verleugnende Distanz. Indem Klaus Antes die Wiederholung des quälenden Erinnerns nicht kaschiert, sondern herausstreicht, geht er ehrlicher mit der heiklen Thematik um als andere Filme, die zwar Behutsamkeit vorgeben, aber trotzdem nichts anderes tun, als erneut eine Verhör-Situation herzustellen.

Christof Boy