Gummiball namens Gretzky

Tränen und einen roten Teppich gab es, als der Eishockeystar den Punkterekord der NHL holte  ■  PRESS-SCHLAG

Es ging auf Mitternacht zu im kanadischen Edmonton, und der Nachtwächter des Northlands Coliseums schaute sich das Video der Oilers Die Besten werden immer besser an. In Los Angeles hatten die 'Daily News‘ zu gleicher Zeit ein Extrablatt herausgebracht. Titel: „Der große Gretzky ist der Größte“. Es war ein historischer Eishockeyabend, und Perfektionist Wayne Gretzky hat ihn in der ihm eigenen Weise noch spezieller gemacht. Der 28 Jahre alte Superstar der Los Angeles Kings übernahm am Sonntag durch zwei Tore und einen assist beim 5:4 der Kings in Edmonton, seinem ehemaligen Arbeitgeber, mit 1.852 Punkten (642 Tore/1.210 assists) die Führung in der ewigen Punktebestenliste der nordamerikanischen Profi-Eishockeyliga NHL von dem legendären Gordie Howe (1.850 Punkte/801 Tore/1.049 assists).

Der 61jährige Howe hatte 26 Spielzeiten für seine Marke gebraucht, Gretzky den Rekord bereits in seiner elften Saison als Profi in der ihm unnachahmlichen Weise gebrochen. 53 Sekunden vor Schluß gelang dem Superstar das 4:4 und im sudden death dann auch noch der Siegtreffer. „Es tut mir leid“, sagte Gretzky nach seinem 51. NHL-Rekord, „ich könnte verstehen, wenn mir jemand hier böse ist, aber das ist mein Beruf.“ Begeisterungsstürme begleiteten jeden Treffer der Nummer 99.

Die Begegnung wurde nach 19 Minuten und sieben Sekunden im Schlußdrittel unterbrochen. Helfer rollten einen roten Teppich auf dem Eis aus. Gretzky, der die Oilers vor seinem Wechsel nach Kalifornien im vergangenen Sommer zu vier Stanley-Cup-Siegen geführt hatte, hüpfte wie ein Gummiball an der Bande herum. Die Schiedsrichter umarmten ihn, NHL -Präsident John Ziegler gab ihm einen Klaps auf den Hintern

-und die Zuschauer erhoben sich.

Der blasse Kanadier fuhr sich mit den Händen durch die naßgeschwitzten Haare, den Blick in Richtung Hallendecke gerichtet. Gordie Howe gratulierte ihm. Tränen kullerten über Gretzyks Wangen, er hatte „nie den Rekord seines Vorbildes und Freundes brechen wollen“, einen Punkt dahinter hatte er am Ende seiner Laufbahn sein wollen. „Ein Superjunge“, sagte Howe, „ich habe mich so auf diesen Tag gefreut.“

Irgend jemand drückte Gretzky das Mikrofon in die Hand. „Vielen Dank“, stammelte der „Zauberer mit den Killerhänden“ ('New York Times‘), „danke. So eine Auszeichnung ist nur möglich mit der Unterstützung des Teams. Ich freue mich, daß beide Teams heute auch hier sind.“ Typisch Gretzky. Allein bist du gar nichts. Die Mannschaft ist alles. Eishockey sei das größte, und alles habe er Eishockey zu verdanken. Und „ganz tief im Herzen ist Gordie immer noch der Größte für mich. Er wird es immer bleiben“. Gretzky unterschrieb seinen Schläger, der im Eishockeymuseum „Hall of Fame“ einen Ehrenplatz einnehmen soll.

Die Sirene signalisierte den Schluß der regulären Spielzeit. Sudden death. Der nächste Treffer entscheidet. Es ging nur noch um Sieg oder Niederlage. Der Puck schien an Gretzkys Schläger zu kleben. Eine Körpertäuschung, eine Drehung, die schwarze Scheibe lag in der Ecke des Oilers-Tores, Gretzky drehte jubelnd ab. „Was soll ich da noch sagen“, meinte Oilers-Trainer Glen Sather, „das ist Wayne. Da bricht er den Rekord an alter Wirkungsstätte, erzielt noch den entscheidenden Treffer und ist trotzdem der bescheidenste Superstar, den ich kenne.“

Sven Busch (dpa)