Ist Gott ein Kokainbaron?

Kolumbien gewinnt das Hinspiel der Entscheidung um die Fahrkarte zur Fußballweltmeisterschaft gegen Israel mit 1:0 / Kokaindollar bewirkten den Aufstieg des kolumbianischen Fußballs  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Soviel sie auch angriffen, die Spieler der kolumbianischen Fußball-Nationalmannschaft im WM-Qualifikationsspiel gegen Israel, das Tor wollte nicht kommen. Die Israelis, deren Trainer nicht umsonst an und ab in der Bundesrepublik Ausbildungskurse besuchen, zeigten europäischen Panzerfußball. Der Strafraum Israels erschien genauso undurchdringlich wie die strengen Sicherheitsmaßnahmen, die vor dem Spiel die angereisten Kicker vor dem bösen Kokainkolumbianer schützen sollten - der israelische Oberst und Söldner Jair Klein, der im vergangenen Jahr Kolumbiens Mafia zur Hand gegangen war, warf seinen Schatten.

Kolumbiens gekonnt dribbelnde Fußballer, die schon Paraguay und Ecuador ihrer Hoffnungen auf Italien 1990 entledigt hatten, ließen nicht locker. Deutliche Bilanz nach der ersten Halbzeit: zehn Eckstöße der Kolumbianer, keiner der Israelis. Eine Viertelstunde vor Spielende erlöste der langbeinige kolumbianische Rechtsaußen Albeiro Ursuiaga dann doch noch die gebannten Fans: Mit List und Tücke fand er im Strafraum Zugang und hob den Ball rechts an dem israelischen Torhüter vorbei. Wenngleich es mit dem Toreschießen haperte, gewann Kolumbien mit einem Quentchen Glück das Heimspiel im schmuddeligen Karibikhafen Barranquilla. Um nach Italien zu gelangen, muß sich jetzt nur noch auch in Tel Aviv Gott als Kolumbianer erweisen.

Ein solches göttliches Eintreten wäre durchaus gerecht, denn Kolumbiens letzter fußballerischer Erfolg fand vor 27 Jahren statt. Es war ein Unentschieden. Mit einem 4:4 trennten sich 1962 bei der Weltmeisterschaft in Chile die Sowjetunion und Kolumbien, nachdem die Sowjets anfangs 4:0 geführt hatten. Danach war in Sachen kolumbianischer Fußball jahrelang Funkstille. Daß nun die Sauregurkenzeit vorbei ist, liegt aber weniger an der Nationalität Gottes als an einem ähnlich allmächtigen Phänomen.

Fußball in Kolumbien riecht nach Kokain. Während in ganz Südamerika die Zeichen auf Flaute stehen, setzt Kolumbien zum Höhenflug an. Als sich Bankdirektoren und Ex-Präsidenten anfang der achtziger Jahre wegen einer schweren Finanzkrise aus den Fußballklubs zurückzogen, stand bald eine Handvoll frischgebackener Millionäre auf der Matte und sah seine Chance zur sozialen Anerkennung. Millionen Dollar investierten die Kokainbosse darin, Aktienmehrheiten zu kaufen, Vereine aufzupäppeln und erstmals Fußballprofis anständig zu bezahlen. In den von Wirtschaftskrisen geschüttelten Ländern Argentinien, Paraguay und Uruguay wurden für wenig Kokaindollar viele Spitzenspieler eingekauft, die nach einer Weile und etwas Glück dann gewinnbringend für saubere Dollar in Europa untergebracht werden konnten.

Der Nachhilfeunterricht der Kollegen aus dem Süden zeitigte zusammen mit dem systematischen Heranziehen des eigenen Nachwuchses bald die ersten Früchte. Wie die italienische in Europa, wurde die kolumbianische Meisterschaft zu der wettbewerbsfähigsten Südamerikas - immer wieder standen in den letzten fünf Jahren kolumbianische Mannschaften im südamerikanischen Cup-Endspiel. 1989 war es dann endlich soweit: Atletico Nacional aus der Zweimillionenstadt Medellin errang - ohne Gastarbeiter aus Argentinien oder Uruguay - erstmals für Kolumbien den Copa Libertadores, die höchste Trophäe des südamerikanischen Vereinsfußballs.

Die Freude über die fußballerische Verbesserung ist jedoch nur schwer mit der Abscheu vor den Kokainbossen zu verbinden. Tatsächlich hüllen sich Staat, Klubs und Fans bei dem brisanten Thema in tiefes Schweigen, reißen Witze oder weisen darauf hin, daß auch andere Faktoren wie das Talent einheimischer Spieler, Trainer und Funktionäre den Boom hervorriefen. Scheuklappen zu verurteilen ist die Aufgabe unverbesserlicher Moralprediger, wie es derer in den USA so viele gibt. Das Kokaingeschäft ist ein internationaler Multi.

Gute Nachrichten wie das 1:0 gegen Israel sind im krisengeschüttelten Kolumbien spärlich gesät. Die Straßen der Hauptstadt füllten sich mit jugendlichen Fans - die berechtigte Angst vor Bombenanschlägen und Drogenkrieg schien für einen Moment vergessen.