Kokettieren mit der Apokalypse

■ Auch Frankreichs kapitalistische Flaggschiffe dümpeln bei 10 Prozent Kursverlust

„Läuft nicht gut heute“ - gerade mal anderthalb Francs liegen in der Mütze des zahnlosen Clochards, der jeden Morgen am Ausgang der Metro „Bourse“ seinen Geschäften nachgeht. Drinnen im Palais Brongniart, dem Reich der beschlipsten Vorkämpfer des Finanzkapitals, ist die Stimmung nicht besser: „Es herrscht Panik“, sagt ein Broker und schielt zur Anzeigetafel der Obligationen. Dort wird soeben ein Plus von zehn Prozent verzeichnet. „Katastrophe! Die großen Anlagefirmen stoßen ab, was sie können, und flüchten in die längerfristigen Anleihen. Deswegen steigen die Kurse...“, murmelt er fahrigen Blicks. Ringsumher sonnen sich andere Jungwölfe im Scheinwerferlicht und verbreiten Düsternis: „Der eclaireur steht bei minus 25“, stöhnt ein pomadisierter Jüngling und meint jenen inoffiziellen Indikator, der alle Kurse umfaßt, auch diejenigen, deren Kurs ausgesetzt ist. Und das sind heute nicht wenige: Die Bildschirme an der Decke des Brongniart-Palastes sind ebenso finster wie die Stimmung im Saale.

Kurz nach Börsenbeginn mußte die Notierung der allermeisten Titel unterbrochen werden. Eine Maßnahme, die dann automatisch getroffen wird, wenn ein Kurs über 20 Prozent an Wert verliert. Um ein Uhr die ersten offiziellen Trends: minus 8,24 Prozent - die Hiobsbotschaft ruft wütendes Geheul hervor: Die Broker lassen ihr Sandwich neben dem Telefondesk liegen und stoßen ab, was abzustoßen ist.

Im Fahrtwind des Minikrachs von Wallstreet haben alle Federn lassen müssen: „Eurotunnel“ wird gegen Mittag mit minus 14,1 Prozent notiert, der Baulöwe Bouyges, der am Tunnelbau beteiligt ist, mit minus 10,3 Prozent. Thomson, Elf, Havas, Dassault: all jene Flaggschiffe des französischen Kapitalismus dümpeln bei zehn Prozent Kursverlust.

Noch am Sonntag abend hatte Finanzminister Beregovoy gut Wetter herbeireden wollen: „Wir dürfen jetzt der Panik nicht nachgeben und müssen ruhig Blut behalten“, beschwichtigte er. Finanzexperten hielten eine „gewisse Bereinigung“ des Pariser Indexes sogar für notwendig, weil die jüngsten Übernahmespekulationen in Sachen „Paribas“ und die navigation mixte den Kurs künstlich gedopt hätten. Seitdem die Banque de France ihren Leitzins erhöhen mußte, um den Franc gegenüber der D-Mark zu halten, sei eine Kurskorrektur der Börse angesagt gewesen, wußten sie.

Weshalb kam es dann gestern auf dem schlüpfrigen Börsenparkett ganz anders? „Es gibt in Frankreich zwar keine Junk-bonds, aber keine große Börse kann sich von Wallstreet abkoppeln“, meint ein Broker: Kapitalbewegungen kennen keine Grenzen. Dennoch, seufzt er, sei dieser lundi noir letzten Endes nur „psychologisch“ zu erklären. Die Berichterstattung der Medien habe ihre Früchte getragen: Seit Freitag abend zogen TV-Experten auf allen Kanälen die Parallele zum Oktoberkrach 1987 und kokettierten mit der Apokalypse. Welcher Kleinanleger mochte da noch tapfer den Haussier spielen?

Alexander Smoltczyk