Geschiedene Geister-betr.: "Verteidigungshaushalt halbieren", taz vom 10.10.89

betr.: „Verteidigungshaushalt halbieren“, taz vom 10.10.89

Zunächst halten wir die Kennzeichnung „SPD-naher Arbeitskreis“ für ungerechtfertigt. Der Arbeitskreis orientiert seine Bestrebungen nicht an der Politik einer bestimmten Partei, sondern er versteht sich als Teil einer autonomen Friedensbewegung. (...)

Der Arbeitskreis fordert neben der Abschaffung aller atomaren, chemischen und bakteriologischen Waffen auch die Realisierung einer „strikt defensiven Verteidigung“. Und an dieser Stelle scheiden sich die Geister. Theodor Ebert und andere grüne MitstreiterInnen (Petra Kelly, Roland Vogt, Gertrud Schilling u.a.) favorisieren eine soziale Verteidigung als Alternative zur gültigen Verteidigungsstrategie. Sie berufen sich mit dieser Forderung auch zu Recht auf das Bundesprogramm der Grünen von 1980. Die Darstellung in der taz, Ebert habe die Grünen aufgefordert, ihr „bisheriges Konzept einer 'defensiven Bundeswehr‘ aufzugeben“, ist von daher schlicht falsch.

Die Forderung nach einer sozialen Verteidigung ist aber innerhalb der Grünen nicht unumstritten, zumindest was den Zeitrahmen ihrer Realisierung anbetrifft. Das deutlichste Beispiel aus der jüngsten Zeit ist der im September vorgelegte, sehr detaillierte Vorschlag für einen „Abrüstungshaushalt 1990“ von Hubert Kleinert. Die Gesamtsumme seiner Einsparungen durch reale Kürzungen in verschiedenen Bereichen (Personal, Beschaffungswesen, Manövertätigkeit etc.) beläuft sich auf knapp acht Milliarden Mark. Kleinert selbst betonte in einer Presseerklärung, daß sich sein Vorschlag „nicht an dem Bereich des Wünschbaren“ orientiere, sondern daß es allein darum ginge, „einen praktikablen Weg einzelner Abrüstungsschritte aufzuzeigen“.

Dennoch brachte dieser Vorschlag Kleinert den Vorwurf einer „atemberaubend opportunistischen Anbiederung an herkömmliche Militär- und Rüstungspolitik“ von seiten der Grünen -Abgeordneten Petra Kelly ein ('FR‘ vom 12.9.89).

Diese Vorschläge verdienen unseres Erachtens jedoch große Anerkennung, da sie einen machbaren und zugleich substantiellen Weg zur Abrüstung aufzeigen. Dennoch gehen sie aller Wahrscheinlichkeit und aller Erfahrung nach weit über das hinaus, was eine mögliche rot-grüne Koalition innerhalb kurzer Zeit wird zustande bringen können.

Ebert fordert demgegenüber eine „lineare Kürzung des Verteidigungshaushaltes um 50 Prozent während der kommenden Legislaturperiode“ und Streichung der „offensiv wirkenden Komponenten“. Diese gewünschten Maßnahmen stehen jedoch, im Gegensatz zum Kleinert-Papier, völlig unvermittelt im Raum. Kein Satz über die Operationalisierung und die Durchsetzungsmöglichkeiten. Die Frage nach der Funktionsfähigkeit einer halbierten Bundeswehr, bei Aufrechterhaltung der jetzigen Struktur, wird gar nicht gestellt. Wie steht es mit eingegangenen Verträgen und Bündnisverpflichtungen? Zu alledem kein Wort, dafür aber Sprüche: „10 Milliarden für die Reformer der anderen Seite schaffen mehr Sicherheit als 30 Milliarden für die Bundeswehr.“ (...)

Daß eine „Defensivierung der Bundeswehr zu langwierig und zu kostspielig“ wäre, beruht unseres Erachtens auf einer falschen Prämisse wie auf Unkenntnis. Die Behauptung „zu langwierig“ geht ja von der Vorstellung aus, daß der andere Weg (Halbierung des Haushalts und zügige Verwirklichung der sozialen Verteidigung) schneller geht, und dies wird von uns wie auch von erheblichen Teilen der Grünen bezweifelt.

Das Argument „zu kostspielig“ geht ebenfalls an der Realität vorbei, wenn man einmal davon absieht, daß für einen Pazifisten jede Rüstung zu kostspielig ist.

Ebert kritisiert die recht umfänglichen finanziellen Aufwendungen bei einer Spezialisierung auf die Defensive. Er hebt dabei jedoch nur einen Teil der Gesamtmaßnahmen hervor, die ergriffen werden sollen. Bei einer Umrüstung der Bundeswehr auf „strukturelle Angriffsunfähigkeit“ fallen zwar in der Tat Investitionskosten besonders im Bereich der Heereskräfte an (Stärkung der infantristischen Komponente, Ausstattung mit spezifischen Waffen und Material), gleichzeitig gibt es jedoch eine beträchtliche Kostenersparnis in anderen Bereichen. So soll etwa der Personalbestand (höchster Anteil im Verteidigungshaushalt) drastisch reduziert werden. Die schweren beweglichen Verbände werden verkleinert. Die Aufwendungen für Luftwaffe und Marine werden um mindestens die Hälfte verringert u.a.

Beim Konzept der Studiengruppe Alternative Sicherheitspolitik (SAS) kommt man auf eine jährliche Ersparnis von ca. vier Milliarden Mark. (...)

Michael Roick, Prof.Dr.Fritz Vilmar, Arbeitskreis Atomwaffenfreies Europa e.V., Berlin 62

(...) Weitgehend unbeobachtet von den Medien haben sich große Teile des gewaltfreien Spektrums der Friedensbewegung dieses Frühjahr im „Bund für Soziale Verteidigung“ (BSV) zusammengeschlossen und arbeiten an einer langfristigen Kampagne zur Abschaffung von Rüstung und Militär und dem Aufbau gewaltfreier Widerstandsfähigkeit. Neu ist die radikale Abkehr von allen militärischen und militaristischen Konzepten und das Aufzeigen konstruktiver, menschenfreundlicher Alternativen. Die Friedensbewegung soll nicht mehr den vielfältigen Aufrüstungsschritten hinterherhinken, sondern selbstbewußt auch dem Bestand der überkommenen Einrichtung „Militär“ auf den Leib rücken. Eine breite Basisbewegung und vielfältige gewaltfreie Aktionen sind dazu genauso erforderlich wie die direkte Einwirkung auf die Militärparteien und die sich als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung verstehenden PolitikerInnen und Parteien.

Um diese zweigleisige Strategie mit Leben zu füllen, hat der Vorstand des BSV u.a. Forderungen wie „Halbierung des Verteidigungsetats in der nächsten Legislaturperiode“, „Einrichtung eines Ministeriums für Abrüstung, Konversion und soziale Verteidigung“ und „Stopp aller neuen Rüstungsprojekte“ in die Diskussion gebracht. Die Mitgliedsorganisationen und Mitglieder des BSV werden darüber zu befinden haben, ob sie diese Forderungen unterstützen, bevor sie „offiziell“ in die Diskussion der Friedensbewegung und in den Wahlkampf eingebracht werden. Gleichzeitig wird über die Ausgestaltung einer Kampagne „BRD ohne Armee“ (BOA) entschieden werden. Beide Projekte - egal, was für eine Gestalt sie letztendlich annehmen werden dürften einen erfrischenden neuen Wind in die vorübergehend etwas ermattete und farblos gewordene Friedensbewegung bringen.

Christoph Besemer, Vorstandsmitglied des BSV, Freiburg