ROCKACOMICBILLIES

■ Die „Washington Dead Cats“ und die französische Indie-Szene

Im Westen doch mal was Neues. Jahrelang sumpfte die französische Populärmusikkultur im landeseigenen Chansonsgedöns vor sich hin und hielt den Dörnröschenschlaf des seligen Vergessens, was Punk und Wave betraf. Zumindest wir hier diesseits des Rheins bekamen nichts mit. Aber in den letzten Jahren tat sich einiges, obwohl oder vielleicht gerade weil Rockmusik in Frankreich immer noch ein subversives, ja gar verderbtes Image anhängt. Als Chirac in Paris die Macht übernahm, mußten viele Rockclubs schließen und Konzerte wurden regelmäßig von der Polizei gestört.

„In Paris reißen sie alles ab und bauen neue Häuser, und dann kostet es zehnmal soviel wie vorher. Und so werfen sie auch die Rockclubs aus der Stadt raus. Als sie vor vier oder fünf Jahren die Kulturfabrik l'Usine, wo jeden Samstag Konzerte für zehn Francs stattfanden, schlossen, gab es Zoff auf der Straße.

Vor allem alte Leute hatten Angst, auf die Straße zu gehen und Chirac sagte, er würde das Problem lösen und pumpte immer mehr Polizei nach Paris. Und Rockmusik war eines der fürchterlichsten Dinge für ihn. Aber als Madonna vor drei Jahren nach Paris kam, ließ er sich beim Abendessen von ihr küssen und ging zum Konzert, um zu beweisen, daß er junge Leute mag. Aber wenn du als Punk auf die Straße gehst, halten sie dich an und wollen deinen Ausweis sehen.“ Mathias ist Sänger der Washington Dead Cats, die zwar öfters auf Festivals gegen Rassismus und Faschismus spielen, sich aber trotzdem eher als Fun-Rock-Band denn als Politicos verstehen.

„Bei Konzerten hängt es einfach davon ab, ob die Kommunisten oder die Konservativen regieren. In konservativ regierten Städten verbieten sie fast jedes Konzert, weil sie sagen es sei kommunistisch. Alle unsere Politiker haben Angst vor Kommunismus. Vor östlichen Dingen überhaupt, Leute aus Osteuropa sind so etwas wie Monster für die Franzosen. In Paris kann es dir aber auch passieren, daß sie es cool und weltoffen finden und du spielen kannst. Also wenn der Bürgermeister wechselt, kannst du jede Menge Ärger kriegen. Wenn sich allerdings die Dinge in Paris ändern, wird es Auswirkungen auf ganz Frankreich haben.“

Die Washington Dead Cats sind eine der vielen französischen Indie-Bands, die im eigenen Land sehr viele Fans haben, aber außerhalb von Frankreich fast völlig unbekannt sind. Erst in den letzten Jahren begann sich die französische Independent-Szene von den übermächtigen anglo -amerikanischen Einflüssen zu emanziperen.

„Vor zehn Jahren gab es ein paar große Bands wie Telephone oder Starshooter, die von der Industrie aufgebaut wurden. Sie haben versucht Rockstars zu bauen, und die Bands waren auch ziemlich populär. Aber noch vor fünf oder sechs Jahren konnte eine richtige Rock-, Rockabilly oder HardCore-Band keine Platte machen, weil die Plattenfirmen nur auf die neuen Telephone warteten und sagten: 'Eure Musik ist zu hart!‘ In der Zeit gingen Bands wie Berurier Noir zu Independant Labels.“

Gab es denn vorher keine Indie-Labels?

„Doch, es gab welche, aber sie hatten Probleme. Erst zu der Zeit begannen mehr Leute sich für wirklichen Rock zu interessieren und kleine Konzerte zu organisieren. Viele kleine Bands kamen zu kleinen Labels. Und es gab überhaupt mehr Publikum dafür. Und so wurden die kleinen Labels immer größer.“

Das größte Problem für französische Bands, wenn sie über die Landesgrenzen hinaus wollen, ist, einen geeigneten Vertrieb zu finden. Marsu von Bondage Records, einem der größten Indies, befand, daß die französische Rockmusik zwar inzwischen musikalisch internationales Niveau erreicht hätte, aber in bezug auf Vertrieb und Promotion noch um Jahre hinterherhinke. Besonders erschwerend kommt hinzu, daß die meisten Indies (zum Beispiel auch Bondage) im Ausland über New Rose, der größten unabhängigen Firma in Frankreich, vertrieben werden. New Rose aber kümmert sich hauptsächlich um die eigenen Bands, vor allem obskure Sixties- und Gitarrenbands aus den USA, und betreibt kaum Werbung für die lizensierten französischen Underground -Kapellen.

„Das große Problem für Franzosen ist, aus ihrem eigenen Land herauszukommen. Die Bands sind ziemlich populär in Frankreich, aber außerhalb interessiert das niemanden. Vor ein paar Jahren spielten Telephone in London und vielleicht 20 Leute kamen und fanden sie auch noch schlecht. Die Reputation von französischem Rock ist allgemein ziemlich mies. Aber wirkliche Rockbands wie Berurier Noir oder Ludwig von 88 waren ziemlich gut auf der Bühne und bekamen immer mehr Fans. Als wir das letzte Mal in Paris spielten, kamen zwischen 2.000 und 3.000 Leuten. Und wenn jemand mit einem Top-50-Hit in Paris spielt, kommen vielleicht 20.

Wie haben uns nie um die Industrie gekümmert. Wenn uns jemand sagen würde, zieh‘ dieses dumme T-Shirt an und geh zu dieser TV-Show, würden wir nur sagen 'Fuck off!‘ Wir brauchen die nicht, das Publikum hat uns groß gemacht.“

Was nahezu alle französischen Bands verbindet, ist die intensive Verbindung zum Medium Comic. Exemplarisch belegt von einer Band wie Les Rita Mitsoukou, die ohne ihr Comic-Image und ihre Videos gar nicht denkbar wäre. Der letzten LP der Washington Dead Cats lag ein Lyricsheet bei, auf dem jeder Text mit einem entsprechenden Comicstrip illustriert wird. Da landen Captain Kirk und seine Mannen vom Raumschiff Enterprise auf einem fremden, grünen Planeten und müssen sich der „Pizza Attack“ (so der Titel des Songs) erwehren.

„Als ich zehn Jahre alt war, sahen meine Eltern eine Menge Horrorfilme. Ich hatte ziemliche Angst damals. Deswegen steh ich auf diese alten Horrorstreifen und auf französische Comics. Ich hatte immer schon Probleme mir Rocklyrics. Es ist immer dasselbe: große Autos und Mädchen. In Horrorfilmen geht es auch immer um dasselbe: häßliche Monster, die dich killen wollen. Ich versuche, das zu mischen. Ein häßliches Monster kommt in dein wunderschönes Auto und versucht dein wunderschönes Mädchen zu töten, aber das Mädchen ist häßlicher als das Monster usw. Meine Texte sind immer kleine Geschichten, nicht nur 'Ich liebe dich/ Du gehst/ Ich liebe dich/ Du gehst/ Ich liebe dich/ Du kommst zurück‘.“

Womit noch nicht der eigentümliche Sound fast aller französischen Rock- oder Popmusik erklärt wäre. Warum klingen selbst Bands wie Telephone, obwohl erklärtermaßen Pop-Punk, eher wie Comic-Punk? An der Sprache allein kann es nicht liegen, aber die Franzosen scheinen eine geradezu geniale Dreistigkeit zu entwickeln, wenn es darum geht unterschiedlichste Stile zu vermischen und dabei doch homogen und ganz eigen zu klingen. Die Washington Dead Cats spielen sich auf einer Rockabilly-Basis quer durch die französische Ethno-Mischung von Chansons bis zu arabischer Musik.

„Wir spielen schon Rockabilly. Aber ich bin aufgewachsen mit Punk und HardCore und ich verstehe diese Billys nicht, die versuchen zu klingen wie in den Fifties. Ich verstehe nicht, daß diese Leute nicht akzeptieren können, daß wir 1989 leben. Also mixen wir Punk und HardCore dazu. Und wir stehen auch auf arabische Musik, wir mögen sie ganz einfach, keine Ahnung wieso. Wir haben alle einen verschiedenen Geschmack, und deshalb versuchen wir etwas zu machen, was uns allen gefällt. So eine Art Demokratie.“

Live werfen die Washington Dead Cats mit Konfetti und Blumen und lösen endgültig ihr Versprechen ein, mit dem Rockstartum aufzuräumen. Wahre Helden sind nur Comic-Helden. Die neueste Single heißt übrigens „Batman“. Wie sonst?

Thomas Winkler

Heute abend spielen die Washington Dead Cats zusammen mit Gorilla Biscuits (New York) im Blockshock und am Samstag zusammen mit Les Casses-Pieds (ebenfalls aus Paris) im K.O.B.