Mit der Kraft und Militanz der Jugend und der Weisheit der Alten

Interview mit Walter Sisulu, letzten Sonntag nach 26 Jahren Haft freigelassener ehemaliger Generalsekretär des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC)  ■ I N T E R V I E W

taz: Allan Boesak, der Präsident des reformierten Weltbundes, hat beim Commonwealth-Gipfel in Kuala Lumpur gesagt, daß man der südafrikanischen Regierung sechs Monate Zeit geben sollte, um ihren Reformwillen unter Beweis zu stellen, also jetzt keine neuen Sanktionen verhängen sollte. Was halten Sie davon?

Walter Sisulu: Ich stimme damit nicht überein. Das ist eine Frage, die in Diskussionen innerhalb einer Organisation entschieden werden muß, nicht eine Frage, die eine Einzelperson entscheiden kann. Bei Sanktionen geht es um einen andauernden Prozeß. Erst wenn eine Situation erreicht ist, in der wir tatsächlich mit der Regierung sprechen, kann man die Position zu Sanktionen neu überlegen.

Die britische Premierministerin Margaret Thatcher sagt, man sollte De Klerk eine Chance geben.

Ich möchte Sie daran erinnern, daß auch Herr John Vorster (südafrikanischer Premierminister von 1966 bis 1978) uns Reformen innerhalb von sechs Monaten versprochen hat. Und was ist in sechs Monaten passiert? Es hat keinen Sinn zu sagen, gebt ihm sechs Monate. Ihre Taten müssen den Weg dafür bahnen, daß ihnen mehr Zeit gegeben wird. Aber sie haben noch keine einzige der sechs Forderungen, die wir gestellt haben, ernsthaft erwogen. Sie könnten vielleicht sagen, daß sie sich um die Freilassung von politischen Gefangenen kümmern. Aber tatsächlich haben sie das nicht getan. Wenn Mandela freigelassen worden wäre, dann wäre das vielliecht ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Was die Gleichberechtigung aller betrifft, so gibt es viele vage Aussagen dazu, aber ich glaube nicht, daß sie es wirklich ernst meinen.

Der Verfassungsminister Gerrit Viljoen hat in den letzten Tagen gesagt, daß er bereit ist, über die Vorbedingungen für Verhandlungen zu sprechen. Sind Sie dazu bereit?

Wir haben unser Programm der Regierung gegenüber deutlich gemacht, wir haben unsere Forderungen gestellt. Sie sind auch bei der Organisation für afrikanische Einheit und bei den blockfreien Staaten vorgelegt worden. Wir sind bereit, jederzeit mit jedem über diese Forderungen zu sprechen, auch mit der Regierung. Unsere Leute sind an einer Lösung des Problems interessiert, und wenn es Bewegung in dieser Richtung gibt, dann werden sie das nicht ignorieren. Aber die Regierung muß jetzt handeln. Wenn sie vernünftig sind, dann werden sie auf unsere Forderungen reagieren.

Eine der Vorbedingungen der Regierung ist, daß die Verhandlungen friedlich sind, es wird also impliziert, daß der ANC den bewaffneten Kampf erst aufgeben muß.

Das würde bedeuten, daß der ANC den bewaffneten Kampf aufgibt ohne vernünftigen Grund. Über den bewaffneten Kampf muß verhandelt werden, das muß Teil der Diskussionen sein. Es muß einen Grund für die Aufgabe des bewaffneten Kampfes geben. Der ANC hat ein Programm vorgelegt, und nur eine Reaktion auf dieses Programm könnte dazu führen, daß der ANC seine Position revidiert.

Was haben Sie für Erwartungen in bezug auf die Freilassung von Nelson Mandela? Müssen Sie sich zurückhalten, um seine Freilassung nicht zu gefährden?

Mandelas Position geht weit über solche Überlegungen hinaus. Selbst wenn die Regierung das gerne so sehen würde, hängt das nicht nur von ihr ab. Das hängt auch von internationalem und internem Druck ab. Die Frage seiner Freilassung muß auch von der Bewegung diskutiert werden. Er kann nicht alleine zur Regierung gehen, er hat nicht einen solchen Status, daß er von der Regierung seine Freilassung fordern kann. Zur Zeit hält sich Mandela an ein politisches Programm, und dazu gehört die Freilassung politischer Gefangener, darunter die seiner Kollegen.

Sie haben wiederholt darauf hingewiesen, daß die Jugend heute sehr politisiert ist. Birgt das nicht die Gefahr in sich, daß die alte Garde von den jungen Militanten überholt wird?

Wenn die Alten zu langsam werden, dann muß man das natürlich berücksichtigen. Wenn die Alten etwas ändern wollen, aber dabei nicht Schritt halten mit den Jungen, dann kann das gefährlich sein. Aber unsere Bewegung ist sehr reif. Wir haben eine Kombination von Alten und Jungen, die Kraft und Militanz der Jugend und die Weisheit der Alten.

Wie kann man die Ängste der Weißen beruhigen, die befürchten, daß eine ANC-Regierung ihnen schaden wird?

Es gibt schon jetzt eine sich immer mehr ausbreitende Bewegung sogar unter Buren, unter Leuten, die sich mit dem ANC getroffen haben, die verstehen und davon überzeugt sind, daß der ANC glaubwürdig ist. Leute, die noch immer Angst haben, sind diejenigen, die vollkommen von der Politik des ANC abgescnnitten sind, die gar nicht vom ANC wissen können. Aber es gibt sogar Unterstützer der Nationalen Partei, die die Politik der Regierung kritisieren.

Sind Sie nicht bitter nach 26 Jahren Haft? Können Sie sich überhaupt vorstellen, mit denen zu verhandeln, die Sie ins Gefängnis geworfen haben?

Das macht mir gar nichts aus. Es geht hier nicht um Einzelpersonen. Ich betrachte die Situation im allgemeinen. Wenn sie sich jetzt ändern, dann ist das gut so. Die Unterdrückten haben keine kleinlichen Rachegedanken gegen eine kleinliche Regierung oder kleinliche Einzelpersonen. Es geht ihnen um die grundsätzlichen Fragen. Unterdrückung macht mich wütend, aber das macht mich persönlich nicht bitter.

Interview: Hans Brandt