Großbritannien gesteht Justizirrtum ein

Nach 14 Jahren Haft kommen die „Guildford Vier“ auf freien Fuß / Die Geständnisse der vermeintlichen Bombenleger waren von der englischen Polizei unter Folter und mit Drogen erzwungen worden / Folterer in Uniform müssen mit Anklage rechen  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Der britische Generalstaatsanwalt Allan Green beantragt heute vor dem Berufungsgericht in London die Freilassung der „Guildford Vier“. Die vier IrInnen waren 1975 für zwei Bombenanschläge auf Kneipen in Guildford und Woolwich, bei denen sieben Menschen starben und 89 verletzt wurden, zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Patrick Armstrong, Carole Richardson, Paul Hill und Gerard Conlon hatten die Anschläge in Polizeiverhören zwar gestanden, diese Aussage vor Gericht jedoch widerrufen. Sie behaupteten, daß die Polizeibeamten die Geständnisse durch Drohungen und Gewalt erzwungen hätten. Hinzu kam, daß die vier Angeklagten Alibis für die Tatzeit vorlegen konnten.

Auch als eine IRA-Einheit, deren Mitglieder für verschiedene Anschläge in Großbritannien im Gefängnis saßen, die Attentate von Guildford und Woolwich ein Jahr später gestand, wurde der Fall der „Guildford Vier“ nicht wieder aufgenommen. Erst im Januar dieses Jahres ordnete Innenminister Douglas Hurd eine polizeiinterne Untersuchung an, weil bekannt geworden war, daß Carole Richardson 20 Minuten vor ihrem Geständnis Barbiturate verabreicht worden waren.

Die Begründung für seinen Antrag auf Freilassung wird Generalstaatsanwalt Green erst heute veröffentlichen. Es ist jedoch klar, daß er sich auf die Behandlung der „Guildford Vier“ in Polizeigewahrsam stützen wird, da keine neuen Beweise aufgetaucht sind. Von der Staatsanwaltschaft war zu hören, daß mehrere Polizeibeamte mit Anklagen wegen Gefangenenmißhandlung zu rechnen hätten.

Greens sensationelle Ankündigung am Dienstag abend hat bei der irischen Regierung große Erleichterung ausgelöst. Sie wird als Zeichen dafür gewertet, daß London die Beziehungen zu Dublin verbessern will. Zwischen beiden Ländern herrschen große Spannungen, seitdem die Zusammenarbeit von Polizei und Armee mit protestantischen Mordkommandos in Nordirland bekannt geworden ist. Bei den Familien und Freunden der „Guildford Vier“ hat die Nachricht gemischte Gefühle hervorgerufen. Zwar ist man über die bevorstehende Freilassung erfreut, jedoch auch verbittert darüber, daß die „Vier“ 14Jahre unschuldig im Gefängnis sitzen mußten. Paul Hills Mutter Lily sagte: „Als ich die Nachricht hörte, glaubte ich zu träumen. Die Tatsache, daß in unserem Fall die Gerechtigkeit gesiegt hat, gibt auch anderen irischen Gefangenen Mut, die seit über einem Jahrzehnt unschuldig in britischen Gefängnissen sitzen.“

Als die Irisch-Republikanische Armee Mitte der siebziger Jahre ihre Bombenkampagne in England intensivierte, löste das eine anti-irische Hysterie aus, die dazu führte, daß nahezu 50 IrInnen mit Hilfe äußerst dubioser Beweise zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Am bekanntesten sind die Fälle der Maguire-Familie und der „Birmingham Six“. Die sieben Mitglieder der Maguire-Familie sind nur verurteilt worden, weil Gerard Conlon im Polizeiverhör „gestanden“ hatte, er habe im Haus seiner Tante Annie Maguire gelernt, Bomben zu basteln. Unter den Verurteilten war auch sein Vater Guiseppe Conlon, der vor neun Jahren im Gefängnis starb. Die „Birmingham Six“ wurden 1974 für zwei Bombenanschläge auf Kneipen in Birmingham, bei denen 21 Menschen ums Leben kamen, zu 21mal lebenslänglicher Haft verurteilt. Das Urteil stützte sich auf eine inzwischen diskreditierte forensische Untersuchung und auf Geständnisse der sechs Angeklagten, die nach Aussage einer Polizeibeamtin aus ihnen herausgeprügelt wurden. Außerdem hat der Labour -Abgeordnete Chris Mullin ein Interview mit den wahren Attentätern in Irland geführt und Details erfahren, die nur den Tätern bekannt sein konnten. An der Kampagne für die Freilassung der IrInnen beteiligen sich zahlreiche prominente Persönlichkeiten, darunter Kardinal Basil Hume, Erzbischof Robert Runcie, Lord Scarman sowie die beiden ehemaligen britischen Innenminister Merlin Rees und Roy Jenkins. Lord Scarman sagte, die Freilassung der „Guildford Vier“ stelle den Glauben an britische Gerechtigkeit wieder her.