„Wir haben hier laufend Erdbeben“

Gregor Freund, taz-Mitarbeiter, lebt in Santa Cruz, Kalifornien  ■ I N T E R V I E W

taz: Gregor, wo warst du, als das Erdbeben begann?

Meine Frau und ich saßen im Wohnzimmer unseres Hauses in der Innenstadt von Santa Cruz. Wir haben auf der Couch gesessen und gelesen. Plötzlich hat sich das Haus zu bewegen angefangen. Die meisten Häuser hier sind Holzrahmenhäuser, die Häuser schwingen hin und her. Sachen sind vom Regal runtergefallen, Gläser gesplittert.

Und ihr?

Wir haben versucht, sitzenzubleiben.

Ihr seid sitzengeblieben?!

Ja, das ist vernünftiger als rauszulaufen. Das Haus hält viel aus. Die Bauten der Zwanziger überleben in der Regel alles.

Hast du denn keine Angst gehabt?

Du, wir haben hier laufend Erdbeben. Die Leute sind das schon gewohnt, die haben ihre Erdbebenversicherung abgeschlossen. Aber meine nicaraguanische Frau, die hat furchtbar Angst gehabt. Sie hat das schwere Beben in Managua miterlebt.

Was passierte nach den 15 Sekunden, die wahrscheinlich eine Ewigkeit dauerten?

Ich weiß nicht, wie lange das dauerte. Das Licht ging aus, und Nachbeben gab es alle fünf bis sechs Minuten. Wir hatten im letzten Jahr zwei Beben um fünf auf der Richterskala gehabt und auch im Frühjahr eines. Wir waren also nicht ganz unvorbereitet.

Und was habt ihr dann gemacht?

Wir sind rausgegangen. In unserer Straße hatte ein Haus einen Riß mittendurch, das Wohnzimmer eines anderen war in den Keller gefallen, und ein Balkon hatte sich selbständig gemacht. In der größten Einkaufsstraße von Santa Cruz sah es allerdings noch schlimmer aus. Das Beben ist ja zum Feierabend passiert. Ein Kaufhaus war total eingestürzt. Leute haben versucht, den Schutt mit bloßen Händen wegzuschieben, um Verschüttete zu finden. Da war noch keine Polizei oder Feuerwehr zu sehen. Alle Läden waren zu der Zeit sehr voll. In einem Hotel für SozialhilfeempfängerInnen waren ganze Decken runtergekommen. Da saßen 60-70 verstörte alte Menschen auf der Straße rum.

Reagierten die Menschen panisch?

Das war eine sehr seltsame Stimmung. Es gab ein bißchen Panik, aber dann waren die Leute doch wieder sehr gelassen. Man war froh, doch davongekommen zu sein. Andererseits hatten viele Angst, weil Gasleitungen geplatzt waren und man das Gas riechen konnte. Das wurde irgendwann abgesperrt. Zwei Blöcke von hier entfernt brannte ein Haus.

Was gibt es sonst noch an Schäden?

Eine Brücke auf dem Highway Richtung Süden ist eingestürzt. Eine andere hat sich verschoben, viele Straßen haben Risse. Aber mehr weiß ich nicht.

Jetzt ist ja Nacht (das Gespräch wurde um ein Uhr morgens kalifornischer Zeit geführt, d. Red.)

Alles ist dunkel. Es gibt keinen Strom in den vier Landkreisen, kein Gas, ein bißchen Wasser. Leute, die ihre Wohnung verloren haben, bauen Zelte auf. Der Vollmond ist die einzige Beleuchtung.

Gibt es genug Helfer?

Wir haben sehr wenig gesehen. Die Polizei befürchtete offenbar Plünderungen und überflog die Stadt mit Hubschraubern. Eine Klinik brauchte einen Notstromaggregator.

Wie konnte die Bevölkerung überhaupt informiert werden, ohne Strom, ohne TV?

Es gab schon Radiosendungen. Aber viele haben keine batteriebetriebenen Radios. Wir hatten unser Auto vor der Tür geparkt und hörten uns Nachrichten an. Aber ich muß sagen, die Informationen waren spärlich. Als das Telefon funktionierte und ein Freund aus Japan anrief, wußte der viel mehr als wir hier zum Beispiel über San Francisco. Der hatte im japanischen Fernsehen schon die Aufnahmen eines Video-Amateurs gesehen, der das Zusammenkrachen der Bay -Bridge aufgenommen hatte.

Wir leben hier nur von Gerüchten. Ich habe gehört, daß sie ein Öl-Kraftwerk Mosslandings bei Watsonville, 15 km südlich von Santa Cruz, stillgelegt haben. Die Autobahnrisse überraschen mich. Die sollten ja nach Erdbebensicherheitsberechnungen für weitaus stärkere Beben aushalten. Das wird sicherlich ein Nachspiel haben. Bei den AKWs muß man auch genau schauen.

Was machst du jetzt? Gehst du schlafen?

Ja. Jetzt kann man nur auf das Sonnenlicht warten. Morgen früh werden wir aufräumen und unseren Hund suchen. Der ist uns weggelaufen.

Interview: Andrea Seibel