„Kriminelle Ausländer alle raus, alle raus!“

■ Wenn Übersiedler mit der Jungen Union „Willkommen“ feiern / Gäste waren enttäuscht / Polen haben keine deutsche Nachnamen und sind „Ganoven und Betrüger“ / Jugendliche Übersiedler sind krankgeschrieben / Deutsche können keine Wirtschaftsflüchtlinge sein

Die ersten von den etwa 200 Gästen gingen schon um acht Uhr abends wieder heim in ihr Übergangslager. Die „Willkommensparty“ für Übersiedler aus der DDR, gegeben von der Jungen Union, hatte vorgestern nicht allen gefallen. Auch die Rock'n'Roll-Gruppe „Bluejeans und Lollipop“ lockte die Neu-Deutschen nur gelangweilt auf die Tanzfläche des Wolfgang-Scheunemann-Heims in der Bredowstraße. Wichtiger war ihnen das Beiprogramm. Mit Flugblättern hatte nämlich die Junge Union angekündigt, daß 20 Berliner Firmen eine „Arbeitsplatzbörse“ veranstalten, d.h. den Neuankömmlingen attraktive Jobs vermitteln wollten. Große Enttäuschung unter den zumeist jungen Gästen. Statt 20 lockten gerade zwei Firmen mit Stellenangeboten. Eine Firma bietet den Ex -DDRlern eine Zukunft als Fensterputzer, Raum- und Gartenpflegerinnen an. Die andere Firma sucht zwei KFZ -Mechaniker. „Aber Sie müssen mehr können, als nur an Trabis rumzubasteln“, erklärt der Firmeninhaber, „denn zwischen West- und Ostautos liegen Welten“. „Machen Sie doch erstmal eine anderthalbjährige Umschulung, Genaues müssen Sie mit dem Arbeitsamt besprechen, ich kann Ihnen nicht helfen und sicher auch kein anderer.“

Der 24jährige Ostberliner Ruggiero Kania ist enttäuscht. Das sieht Ruggiero nicht ganz ein. Er erklärt den Mißerfolg ganz anders. „Nicht daß man mich falsch versteht, ich bin ein Feind der Rassendiskriminierung. Aber die, die weder deutsch sprechen noch einen deutschen Nachnamen haben“, empört sich der Neu-Deutsche mit seinem italienischen Namen, „werden von den Behörden bevorzugt behandelt.“ Und weiter weiß er: „Das sind alles Ganoven und Betrüger, die abends auf Behördenfluren Nummern ziehen und am nächsten morgen diese für D-Mark an die Wartenden verkaufen.“ Ruggiero ist zur Zeit wegen Grippe krankgeschrieben, wie übrigens auch einige andere. Zum Beispiel eine 22jährige, die in Ost -Berlin als private Eisverkäuferin „gut verdient“ hatte.

Daß die Übersiedler hierher kommen, findet der Jung -Unionler Henkel „gut, weil die jungen Leute jetzt frei über ihr Leben bestimmen können“. Allerdings versucht auch er der Frage auszuweichen, ob denn alle unzufriedenen DDR-Bürger rüberkommen sollen. Aber auch Asylbewerber sind bei Henkel willkommen, nur „Wirtschaftsasylanten“, die dürfen hier auf keinen Fall rein. Übersiedler also wieder raus? „Das sind keine Wirtschaftsflüchtlinge“, sagt Henkel. Außerdem „sind das Deutsche“, weiß Westberliner Frank Herrmann, der unter den Gästen Sportinteressierte sucht. Für ihn macht es keinen Unterschied, ob einer von Hamburg nach Frankfurt, oder einer von Leipzig nach Berlin-West zieht. „Es gibt für die Flucht aus dem deutschen Ostblockland sowieso genügend politische Gründe“, glaubt Herrmann. Er zum Beispiel kennt einen Boxer, der sich einmal bis zum DDR-Vizemeister und anschließend bis zur Westgrenze durchgeboxt hat. Dann wurde er aber erwischt und mußte ein Jahr in den Knast. Für einen Leistungssportler „Folter“. Auch Umweltschützer würden für ihr politisches Engagement eingeknastet, wußte Herrmann.

Vorgestern abend hatte allerdings niemand etwas zum Thema Umweltschutz zu sagen. Auch Honeckers Rücktritt schien niemanden zu bewegen. Diskussionen kamen erst auf, als die Junge Union ihre Bezirkszeitung verteilte, in der in einer Karikatur Asylbewerber als Kriminelle dargestellt werden. Ein junger Unionler bedauert, daß „kriminelle Ausländer nicht abgeschoben werden“ und brummelt etwas von einem Pätzold-Beschluß. 400 Liter Bier und 350 Hamburger zeigen ihre Wirkung. Als wäre ein Ventil geöffnet worden, platzt es aus den jugendlichen Übersiedlern heraus: „Kriminelle, alle raus, alle raus“, heizen sie sich gegenseitig an. Nach CDU -Vorbild werden Kriminelle und Ausländer in einen Topf geworfen. Dem Initiator des Gespräches ist es peinlich, er verzieht sich, das Gespräch flaut wieder ab, die Gäste werden leiser.

Am Ende der Veranstaltung irrt eine Mutter unter den Umherstehenden herum, fragt, ob jemand einen Job für ihren Sohn hätte. Keiner hat einen, die Arbeitplatzanbieter sind weg, das Bier ausgetrunken, die Hamburger aufgegessen.

Dirk Wildt