Krieg kam mit den britischen Truppen

■ Ein Buch über den zerrissenen Alltag in Nordirland / Britische Armee leistete Geburtshilfe für IRA

Vor 20 Jahren, am 14.August 1969, entsandte die britische Regierung Interventionstruppen nach Nordirland. In Erwartung, daß die katholischen Unterklassen den Jahrestag auf ihre Weise zelebrieren würden, patrouillierten just die gefürchtetsten britischen Regimenter die Straßen Belfasts: die Marine Commandos und das Parachute Regiment. Die Fallschirmjäger des letzteren waren für die Ermordung von 14 Bürgerrechtlern am Blutsonntag von Derry im Januar 1972 verantwortlich. Und mit der Ernennung von Peter Brooke zum Nordirlandminister, in dem die Zeitung 'Sunday Tribune‘ das Format eines „mittelmäßigen Schlagmanns“ einer Cricket -Dorfmannschaft“ erkennt, „der sich plötzlich in einem Auswärtsspiel der Nationalmannschaft findet“, hat Maggie Thatcher nur zu deutlich gemacht, daß der gegenwärtige Status quo in Nordirland gewahrt werden soll.

Rechtzeitig zum „Interventions-Jubiläum“ hat der Verlag „Die Werkstatt“ das Buch Der lange Krieg - Macht und Menschen in Nordirland der ausgewiesenen Irland-Kenner Dietrich Schulze-Marmeling und (taz-Mitarbeiter) Ralf Sotscheck publiziert, in dem die politischen Entwicklungen in Nordirland in den Jahren 1968 bis 1989 beschrieben werden.

Während die Zahl der in Irland und England erschienenen Buchpublikationen über Nordirland mittlerweile ins Unüberschaubare gewachsen ist, mußte es schwer haben, wer sich aus deutschen Publikationen Wissen über die Verhältnisse in Englands letzter Kolonie aneignen wollte. Das Buch Der lange Krieg vermag hier eine Lücke zu schließen. Gegliedert in drei Teile (20 Jahre Bürgerkrieg, Macht und Menschen in Nordirland, Zu Besuch im Bürgerkriegsland), verfügt die Publikation darüber hinaus mit Prolog und Chronologie (1920 bis heute) und dem Lexikon (in dem die wesentlichen Akteure auf dem Kriegsschauplatz Nordirland kurz vorgestellt werden) im „Anhang“ noch über wichtige eigenständige Beiträge. In seinem Prolog gelingt es Schulze-Marmeling aus eigenem Erleben, das Sichzurechtfinden im sektiererischen Alltag Nordirlands zu skizzieren, in dem Religionszugehörigkeit, Herkunft und Stadtviertel, Namen, Farben und Symbolismen, Mimetik und Kleidung, Fußball-, Cricket- oder Rugby-Clubs Elemente der extrem ideologisierten Spannungsbeziehung sind, die zur Richtschnur innerhalb und zwischen den beiden „Communities“, den Katholiken und Protestanten, geworden sind.

Im Kapitel „20 Jahre Bürgerkrieg“ arbeiten die Autoren heraus, wie die Intervention der britischen Armee Geburtshilfe für die IRA geleistet hat: „Die gewaltsame Eskalation des Konfliktes hatte indessen schon begonnen, bevor die IRA erneut den Schauplatz betrat. Die IRA war nicht Ursache der Eskalation, sondern lediglich ihr Produkt.“

Mit Kritik an Sinn Fein/IRA tun sich die Autoren allerdings schwer. So wird aus dem Hungerstreik von 1981 „die schwerste Niederlage für Thatcher“, wird die Polizeifunktion der IRA in den katholischen Gettos verharmlost, indem zwar die Schwierigkeiten „paralleler Justiz“ benannt, die engen Zusammenhänge zwischen Tugend und Terror nicht diskutiert werden.

Neben einer Analyse der Voraussetzungen und Schwierigkeiten einer politischen Lösung, deren allererster Schritt der Rückzug der britischen Armee wäre, finden sich in Kapitel II des Buches unter anderem Lebensläufe von Bernadette Devlin -McAliskey, Ian Paisley, Gerry Adams, Mairead Farrell, außerdem ein IRA-Interview, das ursprünglich im britischen „Playboy“ erscheinen sollte, dort aber nicht gedruckt wurde, sowie ein kulturgeschichtlicher Essay (von taz-Sportreporter Matti Lieske) über Bomben, Bälle und Hurling-Schläger.

Das Kapitel „Eine Rundreise durch den nordirischen Alltag“ wird den Polittouristen, für die das Buch Pflichtlektüre werden sollte die Reise erleichtern. Doch auch diejenigen, die die Reise nach Nordirland scheuen, sollten dennoch zu diesem Buch greifen, das in seiner Materialfülle Einblicke in einen Konflikt erlaubt, der möglicherweise zu nahe liegt, um jenseits aller Jahrestage überhaupt wahrgenommen zu werden.

Jürgen Schneider

Dietrich Schulze-Marmeling und Ralf Sotscheck, Der lange Krieg - Macht und Menschen in Nordirland, Verlag die Werkstatt, Göttingen 1989, 380 S., 36 DM