Trauma im Gerichtssaal

Den Strafprozeß gegen ihre Vergewaltiger erleben Frauen häufig wie eine „zweite Vergewaltigung“. Die Gründe dafür haben Brigitte Schliermann, Margit Andres und Manuela Dörsch im Auftrag des „Notrufs für vergewaltigte Frauen und Mädchen“ in Nürnberg erforscht. In ihrer kommentierten Dokumentation „Der Vergewaltigungsprozeß“ werten sie ihre Beobachtungen und Protokolle von 46 Prozessen gegen Vergewaltiger aus.

Der 274 Seiten dicke Band enthält ausführliche Auszüge aus den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung sowie Aussagen der Gutachter, Angeklagten und ZeugInnen. Anhand dieses Materials decken die Autorinnen die Parteilichkeit der überwiegend mit Männern besetzten Gerichte auf und beschreiben herrschende Vorurteile und Moralvorstellungen. Ein Beispiel aus einem Gutachten über eine Sechzehnjährige, die mehrfach geschlagen und vergewaltigt wurde: „Sie ist durchsetzungsfähig, sie läßt sich nichts gefallen. Sie ist kein leicht irritierbares Mädchen. (...) Sie zeigt keine Anzeichen von innerer Betroffenheit und wirkt recht schnippisch. Das ist schwer zu vereinbaren mit dem Erlebnis einer Vergewaltigung.“ Der Staatsanwalt bestätigte der Gutachterin in seinem Plädoyer, „überzeugend und nachvollziehbar die Unglaubwürdigkeit der Zeugin dargelegt“ zu haben.

Die zahlreichen Zitate, die Auflistung der bohrenden, unsensiblen Fragen der Staatsanwälte lassen die bedrückende Atmosphäre im Gerichtssaal spürbar werden. Schliermann, Endres und Dörsch erheben nicht den Anspruch, wertfrei und neutral auf die Realität in den Gerichtssälen zu blicken. Den Prämissen des traditionellen Wissenschaftsbetriebes stellen sie ihre eigene bewußte Parteinahme für die vergewaltigten Frauen gegenüber: „Wir arbeiten in Solidarität mit den Opfern und aus der Perspektive potentiell Betroffener.“

Juristen aber scheinen sich häufig - wenn auch unbewußt eher mit den Tätern zu solidarisieren. Da müssen dann plötzlich die Frauen beweisen, daß sie ihre Vergewaltiger nicht sexuell gereizt haben und sich nicht mitschuldig gemacht haben. Die Gewalt der Männer, heißt es in der Studie, werde als „sexueller Notstand“ gerechtfertigt. Tatsächlich aber sei sie eine „Machtdemonstration“, ein Verbrechen, das zumeist sorgfältig geplant werde. Der Vergewaltiger sei kein kranker Triebtäter, sondern ein ganz normaler Mann, der lediglich das gesellschaftlich herrschende Bild von Frauen verinnerlicht habe.

Die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse soll zu der Veränderung dieses Frauenbildes beitragen und darüber hinaus den Beraterinnen in den Notrufen eine Arbeitsgrundlage liefern, vergewaltigte Frauen besser auf die Situation im Gerichtssaal vorzubereiten.

But

Schliermann, Endres, Dörsch: Der Vergewaltigungsprozeß. Nürnberg 1989, 28 Mark plus drei Mark Porto. Bestellungen gegen Vorauskasse bei: „Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V.“, Ossianderstr. 11, 8500 Nürnberg 70.