Lauwarmer Streikherbst - Beamte werden befriedet

Frankreich: Trotz spektakulärer Aktionen blieb der Großkonflikt in diesem Jahr aus  ■  Aus Paris Alexander Smoltczyk

Wenn Finanzbeamte streiken, ist für vermischte Meldungen gesorgt. Im Calvados sitzen die Schnapsbrenner auf dem Trockenen, weil ihnen die Steuerstempel nicht auf die Flaschen gedrückt werden; aus dem gleichen Grund wird der „Neue Beaujolais“ heuer verspätet in bundesrepublikanischen Kneipen eintreffen; und dem Staat fehlen 35 Milliarden Franc in der Kasse, weil die streikenden Steuereintreiber die Umsatzsteuerschecks nicht bearbeiten. Gestern wurde an der Bastille demonstriert, doch die Auszahlung der Beamtengehälter - der eigenen also - am 25.Oktober wird allenfallls be-, nicht aber verhindert: Die reformistische Gewerkschaft Force ouvriere hat von der Besetzung der 24 Abrechnungs-Computerzentren abgeraten.

Streikszenen eines Herbstes, der kein „heißer“ werden will und sich deutlich etwa von der letzten Saison unterscheidet, als der Eisenbahner-Ausstand den Pariser Alltag veränderte. Die Gefängniswärter, die vierzehn Tage ihre Schlüssel an die Wand hängten, weil sie mehr sein wollten als bloße Schließer, sind in die Knäste zurückgekehrt, nachdem ihnen die Rücknahme von Sanktionen versprochen worden war; die unzufriedenen Gendarme und Lehrer wurden mit Prämien und Stellenaufstockungen ruhiggestellt.

Im vergangenen Jahr hatte Michel Rocard die Konflikte mit dem öffentlichen Dienst, den Korsen und den Krankenschwestern noch von Fall zu Fall gelöst: Wer streikte, bekam auch etwas. Diesmal glaubt sich der Premierminister seinem Technokratentraum von einer Konfliktregelung durch „kommunikative Rationalität“ näher gekommen zu sein: Der im September verkündete „Wachstumspakt“ ist sein Zauberwort, mit dem aller Mißmut der Staatsbediensteten aufgelöst werden soll. Danach soll ihnen ein Drittel des Wirtschaftswachstums in Form von Prämien ausgezahlt werden. Bei 3,5 Prozent in diesem Jahr sind das pro Nase 1.200 Franc, rund 400 Mark - im Jahr. Jede Forderung, die darüber hinausgeht, läßt Rocard seine Minister rigoros abschlägig bescheiden.

Diese Politik lebt zum einen davon, daß überhaupt etwas zu verteilen ist, zum anderen läßt sie kaum Spielraum für branchenspezifische Lösungen. An den Finanzbeamten etwa ist zwar die Modernisierung der letzten Jahre, nicht aber die Sparpolitik spurlos vorbeigegangen, während ihr Salär von einer überholten Beamtentarifordnung blockiert wird. Vergangene Woche kündigte Beamtenminister Durafour eine Reform der gesamten Tarifordnung an. „Zu spät“, antworteten die streikenden Fiskalfunktionäre. Die kommunistische Gewerkschaft CGT möchte den Konflikt auf den gesamten öffentlichen Dienst ausweiten, die Force Ouvriere verlangt als Vorbedingung, daß den Beamten die Streiktage nicht vom Lohn abgezogen werden.

Rocard möchte, daß sein Theorem des „Wachstumspaktes“ auch von der Privatwirtschaft übernommen wird. Doch da scheint die technokratische Vernunft noch unterentwickelt: sieben Wochen lang mußten die Arbeiter des Mühlhausener Peugeot -Werks streiken, bis sich ihr Chef Jacques Calvet endlich zu Verhandlungen bereiterklärte. Eine Lösung ist noch nicht in Sicht (siehe nebenstehgenden Artikel).

Die Ambivalenz der Rocardschen Methode zeigt eine jüngste Umfrage: danach wird die sozialistische Partei von den Franzosen in allen Politikfeldern (außer der Ökologie) für „die kompetenteste Partei“ gehalten - weit vor der Rechten. Gleichzeitig sind immer weniger Franzosen in der Lage, „wesentliche Unterschiede“ zwischen Links und Rechts auszumachen: gerade noch 29 Prozent. Angesichts dieser Unentscheidbarkeit ist es kein Wunder, daß die politische Indifferenz im Lande zunimmt. Frankreich fühlt sich (gut) verwaltet von Rocard, aber es hat angesichts des Ausbleibens großer Entwürfe und großer Konflikte das Interesse an den Parteien verloren.