Krenz im Reformpelz

Unbeliebt und gefährlich. Positives über ihn nur aus dem Westen  ■ G A S T K O M M E N T A R

Die erwartete Katastrophe. Die schlimmste aller momentan vorstellbaren Möglichkeiten. Ein Chamäleon, das bei Bedarf die Farbe wechselt. Der Krenz im Reformpelz.

So lauten erste Reaktionen in meinem Bekanntenkreis. Unbeliebt und potentiell gefährlich, die einzigen positiven Stimmen über ihn hörte ich aus dem Westen oder von politischen Westbesuchern. Sie stellen bei unserem neuen Chef diplomatische Gewandtheit und rhetorische Fähigkeiten fest. Von DDR-Bürgern hörte ich zu diesem Manne nur Negatives. Nicht alle gingen so weit wie die Schriftstellerin Gabriele Eckart, die ihren Abgang aus der DDR mir gegenüber unter anderem damit begründete, daß sie vor der Zeit Angst habe, in der Egon Krenz dieses Land regieren werde. Sie kannte ihn. Andere, die über ihn urteilen, kennen ihn nicht persönlich.

„Und auch der Egon Krenz - der hat schon neue Fans!“ hieß es vor mehr als einem Jahrzehnt in einem Song des Oktober -Clubs, der dem damals neu gekrönten FDJ-Chef Volksverbundenheit vorgaukeln sollte. Gerüchte, Anekdoten ranken sich um die Zeit im Jugendverband. Er soll beim Chefredakteur der 'Jungen Welt‘ angerufen haben, wenn im täglich erscheinenden Organ des Jugendverbandes einmal sein Bild fehlte. Das erzählte mir eine Volontärin, die damals bei diesem inzwischen fast als reformfreundlich geltenden Blatt arbeitete. Und wer wenn nicht er ist für die Verhaftungswelle im Januar 1988 (Freya Klier, Stefan Krawzcyk u. a.) verantwortlich gewesen?

Natürlich hat jeder Wechsel an sich etwas Erfrischendes nach einem Jahrzehnt der Erstarrung. Die Ablösung erinnert an die Entbehrlichkeit von Politikern, die sich für unentbehrlich halten. Auch ein neu Eingewechselter kann bald wieder ausgewechselt werden. Ein Grenzübergang wäre dann die Krenz-Übergangslösung zu wirklicher Erneuerung.

Lutz Rathenow, Schriftsteller, lebt in Ost-Berlin