DDR-Opposition will Taten statt Reden

■ Bis dahin geht der Druck von unten weiter / Egon Krenz wird als Übergangslösung angesehen

Die Antrittsrede des neuen SED-Generalsekretärs ist weder ein historisches Dokument noch sonderlich interessant. Sie beeindruckt kaum jemand in der DDR-Reformbewegung.

Weil das DDR-Fernsehen sich nach wie vor keiner großen Beliebtheit erfreut, haben viele im Land den ersten Auftritt des Honecker-Nachfolgers verpaßt. Durch die Bleiwüsten der Zeitungen mochten sich die wenigsten kämpfen. Manche „Aktivisten“ hatten gar keine Zeit, den Text zu lesen. Zum Beispiel Jutta Seidel, eine der Kontaktpersonen des Neuen Forums: „Bei mir ist doch die Wohnung voll mit Leuten, die alle wissen wollen, wie es mit dem Neuen Forum weitergeht.“

Dort, wo die Demokratiebewegung nicht mehr auf private Wohnstuben angewiesen ist, füllten sich am frühen Mittwoch nachmittag die Büros. In Magdeburg zum Beispiel „kamen viele Arbeiter aus Betrieben“, so Forum-Sprecher Reiner Krauße, „gleich nachdem sie gehört hatten, daß Krenz an der Macht ist“. Dessen politische Biographie verbindet sich offenbar nicht mit besonderer Popularität. „Uns reicht's, wir wollen Reformen, jetzt treten wir beim Neuen Forum ein“, hätten die Arbeiter gesagt - und die Mitgliederlisten der Gruppe spontan erweitert.

Gelassen und selbstbewußt war die Reaktion auf den Personalwechsel. Krauße: „Für uns zählen nur die Taten, die Krenz bringen wird. Unser erstes Problem ist die Zulassung aller demokratischen Vereinigungen. Wenn das geschehen ist, können wir beruhigt den nächsten Wahlen entgegen sehen. Macht Krenz das nicht, führt er keine Reformen ein, dann gibt's für uns nur eine Arbeit: den Druck qualitativ und quantitativ erhöhen.“

So knallhart mag der Ost-Berliner Pfarrer Eppelmann von der Gruppe „Demokratischer Aufbruch“ die nächste Zukunft nicht sehen. Doch auch er hält Personalaustausch und die ersten Worte des neuen Mannes nicht für entscheidend. „Ich bin gespannt darauf, was in den nächsten Wochen beschlossen und gemacht wird. Und ich hoffe, daß sich die Entscheidungen nicht nur an der Weisheit der SED orientieren.“ Eppelmann unterbreitete Krenz zwei „Vorschläge für vertrauensbildende Maßnahmen“: 1. „Entschuldigung für das Verhalten der Sicherheitsorgane zwischen dem 6. und 8.Oktober“ - gemeint sind die Prügel- und Verhaftungsaktionen vor und während des Republik-Jubiläums - und 2. „Legalisierung der verschiedenen Gruppen“. Diese Taten der neuen Regierung könnten „schnell, wirksam und ohne jede Kosten“ veranlaßt werden. Darüber hinaus müsse man, so Eppelmann, dem Parteichef und designierten Staatsoberhaupt „etwas Zeit lassen“.

In eine ähnliche Richtung argumentiert in einer persönlichen Stellungsnahme Angelika Barbe, Vorstandsmitglied der Sozialdemokratischen Partei (SDP) erst gestern abend nach Redaktionsschluß sollte der Parteivorstand zusammentreten und danach eine Erklärung abgeben. Daß Egon Krenz die DDR-Opposition in seiner Rede überhaupt nicht erwähnt hat, macht Frau Barbe „stutzig“. „Wenn in Leipzig 120.000 nach dem Neuen Forum rufen“, meint sie, „dann muß Krenz das doch auch hören. Er sollte sich ganz schnell mal die Videos angucken“ und dann über die Reformforderungen der Straße und der Gruppen nachdenken. Solange die Demokratiebewegung und deren Organisationen nicht in den Medien erwähnt würden, sei der vermeintliche Sinneswandel nicht glaubwürdig.

Einig sind sich die verschiedenen Gruppen darüber, daß Egon Krenz ein „Übergangskandidat“ ist, wie Ulrike Poppe von der Gruppe „Demokratie jetzt“ es formuliert. Sie hofft darauf, daß „wir uns als Opposition entwickeln und in politischer Selbstorganisation wie Demokratie üben können, so daß wir als Volk es schaffen, jemanden an die Spitze zu setzen, der wirklich vom Volk legitimiert ist“.

Auf den „Dialog“, jenes in den DDR-Medien so überstrapazierte Wort, setzen alle. Nur: Auf die Erfüllung der „Vorbedingungen“ wird nicht mehr verzichtet. Eindrucksvoller ließe sich kaum darstellen, wie wirkungslos der bloße Personalaustausch ist. In Ost-Berlin bestehen die Initiativen und die SDP gemeinsam darauf, daß Oberbürgermeister Krack sie als „autorisierte Vertreter demokratischer Initiativen akzeptiert und uns nicht mehr als irgendwelche Einzelbürger behandelt“. Ferner verlangen sie Freilassung auch der im Militärknast wegen Befehlsverweigerung inhaftierten Polizisten und Aufhebung aller Strafen für gewaltfreie Demonstranten, eine Entschuldigung sowie eine unabhängige Untersuchungskommission zu den Vorfällen um das DDR-Jubiläum herum.

In Magdeburg haben Gruppen das bisherige Gesprächsangebot ausgeschlagen. „Wir reden doch nicht nur über irgenwelche lächerlichen kommunalpolitischen Themen“, so Reiner Krauße, „das geht an unseren Forderungen vorbei.“ Den Wunsch nach Legalisierung demokratischer Initiativen werden die Magdeburger mit einer bereits jetzt öffentlich angekündigten Demonstration am kommenden Montag unterstreichen. Man ist guten Mutes, mehr Leute als die 10.000 dieser Woche auf die Beine zu bringen. „Leipzig kann doch nicht der einzige Leuchtturm der Bewegung bleiben.“

Petra Bornhöft