Ökologische „Abkürzungswege“ für die Sowjetunion

Deutsche und sowjetische Wissenschaftler diskutierten in Bonn über eine ökologisch orientierte Energie- und Wasserwirtschaft / Bedrohen „öko-imperialistische“ Ambitionen westlicher Konzerne eine fruchtbare Zusammenarbeit? / Die sowjetische Delegation übte sich in Pluralismus und Meinungsstreit  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Ein Unikat aus Wolfsburg löste die Kontroverse aus, die die Konferenz fortan vor allzu selbstzufriedener Routine und sorgenvoller Gemeinsamkeit bewahrte: Ist es „ideologischer Imperialismus“ - zeitgemäß ökologisch verpackt -, wenn der Volkswagenkonzern seinen „Öko-Polo“ im Rahmen einer globalen Umweltkonferenz in Moskau herzeigt? Der harsche Vorwurf, dem „Öko -Imperialismus“ Vorschub zu leisten, traf ausgerechnet den Münchner Physiker und Träger des alternativen Nobelpreises Hans-Peter Dürr, zu dessen Credo es gehört, daß man „das System nur mit den Kräften des Systems umsteuern kann“.

Das Freiburger Ökoinstitut hatte zu der deutsch -sowjetischen Fachtagung, die sich vorrangig mit den ökologischen Konsequenzen der Energie- und Wasserwirtschaft befassen sollte, nach Bonn geladen. Aus der UdSSR waren Wissenschaftler angereist, die noch vor wenigen Jahren unter das Etikett „Dissidenten“ fielen. Ökologen der ersten Stunde, Rufer in der Wüste gegen immer mehr Atomkraftwerke in ihrem Land, Einzelkämpfer, die über viele Jahre mühsam und unter schwersten Bedingungen gegen die Gigantomanie sowjetischer Technokraten-Träume anrannten - vor allem gegen jene nach Jahrzehnten der Vorbereitung schließlich gestoppten oder vorerst auf Eis gelegten Pläne, das Gewässersystem im europäischen und mittelasiatischen Raum regelrecht auf den Kopf zu stellen.

Heute fühlen sie sich bestätigt und getragen von einer breiten ökologischen Volksbewegung. Aber die Phalanx der Bürokraten in den Ministerien ist praktisch ungebrochen, die Informationsbeschaffung und Einkoppelung in die internationalen Informationskanäle für kritische Wissenschaftler immer noch Glückssache. Letzteres führte insbesondere bei der Diskussion der globalen Klimaänderungen zu einem die Konferenz belastenden Wissensgefälle zwischen den bundesdeutschen Energie- und Klimaexperten und den sowjetischen Gästen.

Fundamentalisten

der ersten Stunde

Die Neigung, das Kind mit dem Bade auszuschütten, die wütende Fixierung auf betonköpfige Einzelpersonen, die sich

-Perestroika hin, Glasnost her - immer noch in den Schlüsselpositionen der Ministerien halten: Vieles an Gestus und Weltbild der Gäste aus dem Osten trug Züge des grünen Fundamentalismus der ersten Stunde.

Der Streit über den Öko-Polo schließlich förderte bei den sowjetischen Wissenschaftlern ein merkwürdig ambivalentes Verhältnis zur Rolle westlicher Technologie zutage. Hans -Peter Dürr hatte die Delegationsmitglieder im Bonner Gustav -Stresemann-Institut eben noch beschworen, bei der anstehenden Umgestaltung ihrer Wirtschaft um Gottes Willen nicht einfach das westliche Industriemodell zu kopieren, sondern auf dem steinigen Weg in eine menschen- und naturgerechte Zukunft nach „Abkürzungen“ zu suchen.

„Öko-Polo“ für Moskau?

Doch dann berichtete der Mitinitiator des sogenannten „Global Challenges Network“ - eigentlich nur als Fußnote zu seinem Referat, aber nicht ohne Stolz - von seinen Bemühungen, die VW-Häuptlinge in Wolfsburg zur Ausstellung ihres hierzulande nie in Serie produzierten supersparsamen Kleinwagens in Moskau zu überreden. Inge Lindemann, Mitarbeiterin der grünen Bundestagsabgeordneten Lilo Wollny, polterte den „Öko-Imperialismus„-Vorwurf in die Runde - und kassierte den spontanen Beifall der sowjetischen Delegation. Tatsächlich gehe es westlichen Konzernen bei ihrer Öffnung nach Osten vorrangig um „billige Arbeitskraft, billige Rohstoffe und riesige neue Märkte“, kritisierte etwa Professor Michael Lemeschew, der sowjetische Delegationsleiter. Und Professor Peter Hennicke vom Ökoinstitut, der die Ausstellung in Moskau eigentlich befürwortet, wies auf ein weiteres Problem beim Öko-Export hin. Wenn neue, effiziente Energietechnologien erstmals in der Sowjetunion eingesetzt würden, entstehe leicht der Eindruck, der Westen wolle nun in Moskau einsparen, um es nicht in Frankfurt tun zu müssen. Und Stephan Kohler vom Ökoinstitut erinnerte daran, daß allein die Moskauer U-Bahn und Buslinien gegenwärtig täglich etwa acht Millionen Pendler bewältigen. Da könne es nicht das Ziel sein, die Stadt nach westlichem Vorbild autogerecht umzubauen. Auch nicht mit Öko-Polos.

Die Ausstellung in Moskau soll im Januar steigen und eine Weltumweltkonferenz begleiten, die Michael Gorbatschow mit einer „großen programmatischen Rede“, so Dürrs Hoffnung, eröffnen wird. Wie richtig die Kritiker des Wolfsburger Engagements mit ihren Befürchtungen lagen, scheint ein Blick auf die vorläufige Ausstellerliste zu belegen, die zum Zeitpunkt der Diskussion noch niemand kannte. Da tummeln sich neben VW praktisch alle großen Autoproduzenten dieser Erde von General Motors bis Ford, von Toyota bis Volvo.

Sowjet-Wirtschaft läuft leer

Warum die Sowjets auf der anderen Seite ein Rieseninteresse an Technologien zur rationellen Energienutzung haben müssen, belegte Professor Lemeschew eindrucksvoll anhand weniger Zahlen. Die Stromproduktion der Sowjetunion habe sich in den vergangenen 30 Jahren versechsfacht, die Lebensbedingungen der Bevölkerung hätten sich eher verschlechtert, meinte Lemeschew. In den Jahren zwischen 1970 und 1987 verdoppelte sich die Rohölproduktion, die Erdgasgewinnung wurde mehr als verdreifacht, Erzgewinnung und Stahlerzeugung wuchsen ebenso, während die andere „Supermacht“, die USA, im selben Zeitraum in fast allen Bereichen der Schwerindustrie abspeckte und heute rein mengenmäßig weit hinter der UdSSR zurückliegt. Das niederschmetternde Ergebnis dieser Anstrengungen: 1970 erreichte die Sowjetunion 68 Prozent des US-amerikanischen Sozialprodukts, heute sind es noch 62 Prozent. Lemeschews Botschaft: Die überdimensionierte Wirtschaft seines Landes läuft in weiten Teilen leer.

Indirekt bestätigte das auch der Energiewissenschaftler Klaus Traube, der in seinem Referat den Pro-Kopf -Energieverbrauch in verschiedenen Ländern miteinander verglich. In Japan, dem Mekka der Hochtechnologie, liegt der Energieverbrauch pro Kopf um 37 Prozent niedriger als bei uns, in der DDR um 40 Prozent höher als hierzulande. Zieht man das Bruttosozialprodukt als Vergleichsgröße heran, nutzt Japan seine Energie um 37 Prozent effektiver als die Bundesrepublik und fast doppelt so effektiv wie die DDR. Ähnliche Verhältnisse wie in der DDR erwartet Traube auch in der Sowjetunion.

Wie allerdings eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Westen zum Nutzen der Natur und der Menschen in der Sowjetunion aussehen könnte, darüber entbrannte in der sowjetischen Delegation mehrfach ein erbitterter Streit. Die einen betonen die Eigenständigkeit der sowjetischen Völker. Es mangele dort nicht an Ideen, sondern an deren Umsetzung. Um dies zu dokumentieren, schlug etwa der Wasserkraft -Ingenieur Eugenin Bodolskoij vor, bei der Moskauer Ausstellung entsprechende Konzepte demonstrativ auf Plakaten vorzustellen und das ganze dann durch leere Schaukästen zu ergänzen.

Der Streit kam schließlich endgültig zum Ausbruch, als die Delegation über mögliche Lösungswege für das bedrohte Schwarze Meer aneinandergeriet. Wegen der wachsenden Wasserentnahme aus den Flüssen schrumpft der Süßwasseranteil des Meeres immer mehr zusammen. Ein Delegationsmitglied der anderen Fraktion schlug deshalb vor, den bedrohlich ansteigenden Schwefelwasserstoffgehalt mit Hilfe westlicher Unternehmen in Fabriken am Seeufer zu Schwefelsäure zu verarbeiten. Dieser Vorschlag brachte wiederum die einzige Frau der sowjetischen Delegation, Ludmilla Selikina, in Rage, die derlei Herumkuriererei an Symptomen heftig ablehnte. Sie konnte sich gerade noch für eine effizientere Nutzung der Süßwasserressourcen aussprechen - bevor die Simultanübersetzerinnen endgültig vor der Heftigkeit des Streits kapitulierten. Delegationsleiter Lemeschew lakonisch: „Wir lernen Pluralismus“.