Männerwahn in Little Italy

■ Scorseses erster längerer Film in Originalfassung im Kommunalkino

Wir kennen das schon. Manchmal kann es über zwanzig Jahre dauern, bis ein cineastischer Rohdiamant in unsere Kinos kommt. Drei Jahre benötigte der Italo-Amerikaner Martin Scorsese (Taxi Driver; New York, New York; Die Farbe des Geldes), um sein er

stes längeres Kinowerk Who's that knocking at my door fertigzustellen. Mit nur 40 Tausend Dollar und auf grundverschiedenem Filmmaterial (16 und 35mm) gelang ihm gleich ein großer Wurf. Nicht zufällig, denn die Gründe dafür haben vier Namen.

Insiderkenntnis/Authentizität:Scorsese siedelte seine Geschichte in der italienischen Gemeinde New Yorks an. Selbst italienischer Abstammung, kennt er seine amerikanisierten Landleute. Mit bemerkenswerter Akribie arbeitete er die anpasserische Haltung seiner Charaktere heraus: Bist Du fremd in God's own country, so gib dich amerikanischer als die Amerikaner.

Der Hauptdarsteller: Mit Harvey Keitel fand Scorsese einen jungen, unbekannten Schauspieler, der alle Facetten des entwurzelten Emigranten-Nachwuchses beherrscht. Keitel ist der perspektivlose Großkotz, arrogant, ungeduldig und voreingenommen. Halt bieten nur die italienischen Freunde, ohne sie wird sein Handeln fahrig und uferlos, die bloße Angst macht sich breit.

Die Form: Scorseses erzählerische Mittel beschränken sich nicht auf das chronologische Abfilmen einer Handlung. In Rück

blenden übernimmt allein die Rock'n'Roll-Musik die Vermittlung akustischer Informationen. Sie ergießt sich über die Bilder und macht Gefühle hörbar. Eine Schlägerei unter Jugendlichen gleich zu Beginn erhält dadurch weitere Dimensionen. Die schnelle Musik forciert das ohnehin hektische Leinwandgeschehen, Worte sind überflüssig. Die Kameraführung der insgesamt drei Kameramänner zeichnet sich zudem durch ein hohes Maß an Variabilität aus, die allerdings nie in Gefahr gerät, beliebig zu wirken. Ein schiefes Bild kennzeichnet punktuell die Unsicherheit und Planlosigkeit der Charaktere. Ein Bildausschnitt ganz von oben läßt die Figuren klein und erbärmlich aussehen und stellt ihre Gebrochenheit heraus. Überblendungen und Gegenschnitte sind weitere Stilmittel, mit denen Scorsese die sozio-kulturellen Identifikationsprobleme fokussiert.

Erkenntnis: J.R. ist arbeitslos und hat eine Menge Zeit. So trinkt er mit seinen Freunden, fährt Auto und schaut Filme an. Hier und da eine kleine Prügelei oder eine alkoholbenelte Party reichen für einen ausgefüllten Tagesablauf. Seine Kontakte zu Frauen

beschränken sich auf Prostituierte. Kein Gefühl bedeutet für ihn: Keine Verpflichtung. Liebe definiert er technisch kühl. Eine Frau zum Heiraten hat Jungfrau zu sein, das gebietet die katholische Herkunft ebenso wie die spezifisch amerikanische Prüderie. Der Tatsache, daß ihm seine Freundin (Zina Bethune) beichtet, vergewaltigt worden zu sein, begegnet er mit ungläubiger Aggression. Die Unfähigkeit weiter Teile der amerikanischen Gesellschaft, miteinander zu kommunizieren, treibt Scorsese auf die Spitze. Kinofilme ersetzen die eigene Reflektion, es wird nachgelebt, was für die Realität gehalten wird. Gespräche verlaufen auf zwei getrennten Schienen - die Worte schießen aneinander vorbei und verpuffen im Nirgendwo des Schweigens.

Der Männerfilm Who's that knocking at my door ist ein brilliantes Lehrstück verknöcherter geschlechtlicher und sozialer Strukturen. Wenn wir nicht wüßten, was dieser Regisseur nach dieser Arbeit alles geleistet hat, wir müßten ihm eine große Zukunft prophezeien. Jürgen Franck

Kommunalkino im Cinema, ab Mo. 18.45 Uhr