SPRINGENHÜPFENUMZIEHN

■ Das war Nina Hagen im Tempodrom

Was diese Frau in Berlin immer noch für einen Kredit hat, ist schier unglaublich, aber nachvollziehbar. Wer hat sie nicht geliebt, die erste Scheibe und das Unbehagen. Brechend voll das dampfende Zelt, und pünktlich um kurz nach acht dann sie, samt Pelzröckchen von Gaultier. Der Vorwegbeifall sagte schon alles. 16jährige mit Feldstecher ausgerüstet auf den Bankreihen, in der Mitte pulsierend die Hard-Liner-Fan -Gemeinde. Zweiter Song mit Wiedererkennungswert „Ich glotz TV“. Ja, das konte man ungezwungen mitsingen. Schnell weg das Röckchen, im schwarzen, hautengen Satinanzug dann die Danksagung in Hagenscher Manier „Is ja nett!“ für überschwenglichen Beifall. Die Band (allesamt Vollprofis was sonst) vollkommen auf sie eingeschossen, optisch aber eher etwas Gethsemanemäßig (huch. watn dett? neues modewort in sicht? sezza). Der Gitarrenhengst kannte sein Handwerk, aber anscheinend keinen Spiegel (wohl besser als umgekehrt, wie sonst üblich. sezza). Gebanntes Starren, geladene Luft: „Ick sing jetzt 'n Song über SEX!“ - Gröhl. Leider folgte eine ziemlich langweilige Diskokacke.

Verunsichert scharrte man sich um die Bierstände, Vertrauen brachte erst wieder der durch ausdauerndes Airplay allseits bekannte „Gosple-Song“, angeblich in einer Wilmersdorfer Kirche enstanden, in der lauter blonde Frauen mit ge„checkten“ Babys (ja watn datt schon wieder. hab wohl den zahn der zeit verpaßt? sezza) 'rumlaufen. klatschen -mitsingen-biertrinken. Ganz Berlin ein- und zweiundsechszig war erschienen, um Ninas Kauderwelsch-Vocal-Orgien über sich ergehen zu lasen. Und - ihre Stimme war so wie man sie kannte. Manchmal etwas gebrochen, aber im Gegensatz zu den meisten anderen singenden Frauen mit ihrem erbärmlichen „lalala“ erzeugte sie immer noch akustisches Wohlbefinden. Vom trällernden Ausdauer-Jodler bis hin zum schmetternden Rockschrei, sie hatte immer noch alles im Hals - und die erste Reihe dann auch zunehmend im Griff. Wieder umziehen, mit Goldschleife im Haar dann Zarahs „Wunder“, einbeinig hüpfend. Die Joints kreisten, sentimentale Bedröhntheit ergriff nun auch die letzten Reihen. „Wenn ich ein Junge wär.“ Ja, das wollte man hören. Wieder mitsingen -mitklatschen-mitrauchen.

Mit ihren ständigen Umzieh-Orgien konnte jedoch keiner so recht etwas anfangen, kaum war der Funke getanzt, fanterte die Band alleine auf der Bühne 'rum, während sie mal wieder in irgendwas Goldenes oder Glitzerndes schlüpfte. Nicht fehlen durfte ja dann der „African-Raggae“ - zur Freude der sichtlich bekifften Menge dann: „Warum bemühen wir uns nicht um die richtigen Kreuter“. Ende. Doch ein Kessel Buntes wollte mehr. Wieder springen, hüpfen und - umziehen. Der Schlußsprung zum Schlagzeug paßte wie die Faust aufs Auge, ein paar Blumen ins Publikum geschmissen, ein kurzer Ritt auf dem Rücken des Roadys, Umarmung der Musiker. „Die uff'm Mars gucken immer so komisch“, und deswegen noch mal alles zusammen: „Macuschirammigutziwoap“ - der Refrain des Songs „Where's the Party?“, aha.

Noch ein „Ave Maria“ für die Enthusiasmierten, und dann war es vorbei. „Schreib mal, die Alt-Freaks waren nicht zufrieden“, noch der Rat einer End-Dreißigerin, die trotzdem weinselig grinsend dem Ausgang entgegenschwebte. So ganz zufrieden sah sie nicht aus, aber Zeuge des Nonplusultra der Nina Hagen war wohl niemand geworden.

Tine Wagnis