: Neuroleptika als Krankmacher?
■ Längst sind sie in Verruf geraten, aber sie werden immer noch verschrieben
Neuroleptika werden in der klassischen Psychiatrie vorwiegend an psychotische Patienten verabreicht. Betroffene, die mit der Diagnose „Schizophrenie“ oder Manie in nervenärztlicher Behandlung sind, bekommen gegen ihre „Krankheit“ Medikamente mit Namen wie „Haldol“, „Neurocil“, „Taxilan“ oder „Fluanxol“ und andere. Sie sollen angeblich antipsychotisch wirken, doch ist es schon lange kein Geheimnis mehr, daß durch die Medikamente schlicht die äußeren Symptome der Psychose gedämpft werden. Der Zwiespalt, die Angst und der Kampf des Patienten gehen im Inneren weiter. „Die Medikamente“, sagte der Schöneberger Ferenz Jadi, „sind nicht da, weil der Patient sie braucht, sondern weil Psychotiker nicht auszuhalten sind“. Der schwedische Wissenschaftler und Arzt Lars Martenson schreibt in einer Untersuchung aus dem Jahre 1984: „Nach ein paar Jahren geht es den Patienten in psychopharmakafreien Programmen besser - egal welche Kriterien man anlegt.“
Darüber hinaus ist inzwischen erwiesen, daß Neuroleptika unabhängig von der Dosis und der Dauer der Behandlung zu irreparablen Bewegungsstörungen führen können. Tardive Dyskinesien werden sie genannt und machen sich als unfreiwillige, nicht steuerbare Bewegungen der Zunge, des Kiefers und der Gesichtsmuskeln bemerkbar.
Während die deutschen Produzenten bei der Beschreibung möglicher Nebenwirkungen sehr viel zurückhaltender sind, notieren US-amerikanische Unternehmen alle nur denkbaren Begleiterscheinungen auf den Waschzetteln. Die immensen Schmerzensgeldforderungen, die in den USA gezahlt werden, zwingen sie dazu. Erwähnt werden die Parkinsonkrankheit (Schüttellähmung) und das Neuroleptische Maligne Syndrom (NMS). Als Symptome des NMS treten starke Fieberanfälle auf
-zudem Muskelstarre, Bewegungslosigkeit, unregelmäßiger Blutdruck, Herzjagen, krankhaft gesteigertes Harnlassen und unregelmäßiger Herzrhythmus.
Trotz der zweifelhaften therapeutischen Wirkung und der Lebensgefahr, die mit der Einnahme von Neuroleptika verbunden sind, werden die Medikamente in der Bundesrepublik weiterhin verschrieben - wenn auch deutlich geringer dosiert. Hinzu kommt, daß die Patienten über die Folgen der Neuroleptika-Einnahme häufig im unklaren gelassen werden. „Sollen wir denn den Patienten Angst machen? Angst ist therapeutisch bestimmt nicht sinnvoll“, sagt der Neuropsychopharmakologe Helmut Coper. Gefragt, ob er sich selbst einer Neuroleptika-Behandlung aussetzen würde, sagt er: „Ja, aber ich würde vorher einen zweiten oder einen dritten Arzt konsultieren.“ Diese Möglichkeit haben viele Psychiatrie-Patienten nicht.
lus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen