piwik no script img

Das große Fressen

■ Auf dem Euro-Food-Markt durchdringen sich Konsumtrends, Binnenmarktvorteile und der Drang in ausländische Regale

Teil 34: Dietmar Bartz

Was die Konzentrationsbewegungen auf dem Euro-Food-Markt angeht, kam die interessante Nachricht dieser Woche nicht von der Fachmesse Anuga aus Köln, sondern von Klaus Birkel aus Stuttgart: Die Birkel-Familien verkaufen den größten Teigwarenhersteller der BRD (Umsatz 1989: 250 Millionen Mark) an den französischen Nahrungsmittel-Konzern BSN, den wohl derzeit am schnellsten wachsenden Euro-Food-Konzern, der es quer durch alle seine Sparten im letzten Jahr auf einen Umsatz von 12,5 Milliarden Mark brachte.

Zwar klagte Klaus Birkel, daß vor allem die Warnung des Stuttgarter Regierungspräsidiums vor angeblich „mikrobiell verdorbenen“ Nudeln und die nachfolgenden Umsatzeinbrüche zum Verkauf geführt habe. Aber Birkel räumte auch ein, daß im zukünftigen EG-europäischen Binnenmarkt nur größere Einheiten und „europäische Verbünde“ bestehen könnten. Die schwäbische Firma beansprucht einschließlich ihrer Mehrheitsbeteiligung am Hersteller „Tag“ die Hälfte des bundesdeutschen Nudelmarktes für sich.

Nudeln sind ein Wachstumsmarkt, allerdings weniger für die Hersteller von Eiernudeln als für die flutschigen Weizenspeisen. Der Marktanteil von aus Italien kommenden Teigwaren hat sich denn in der BRD ständig erhöht: von 8,1 Prozent im Jahr 1986 auf 13 Prozent im vorletzten Monat. Darum hat die neue Birkel-Mutter BSN auch mit Macht versucht, auf den italienischen Markt vorzudringen. Fünf Pasta-Firmen besitzt BSN dort - hat aber damit nur einen Marktanteil von sieben Prozent, den sie auch noch mit der Werbung für fünf verschiedene Nudeln halten muß. Die italienische Marktführerin ist mit Abstand die Firma Barilla, die unter dieser Bezeichnung 25 Prozent des wohl wichtigsten Euro-Nudellandes hält. In der BRD hat Barilla auf diesem Markt 22 Prozent, liegt aber nur knapp vor zwei Verfolgern mit 21,5 und 17,2 Prozent.

Kreuz und quer gehen im EG-Europa schon längst die Fusionen, Kooperationen und Gemeinschaftsunternehmen - die Food-Branche und in ihr auch die Nudelhersteller machen da keine Ausnahme. Die bundesdeutschen Barilla-Produkte etwa werden vom Kartoffelprodukte-Hersteller Pfanni in die Regale der Einzelhändler und Supermärkte gebracht und verdrängen dort keine Pfanni-Produkte, sondern im besten Fall die Konkurrenznudeln, weil Kartoffelprodukte und Teigwaren klassisch nicht in einem Regal beieinander stehen.

Andererseits: Pfanni betreibt seit wenigen Jahren mit Schwartau, Dr.Oetker und eben Birkel das gemeinsame Unternehmen „Marken-Team“, das für hundert Millionen Mark Umsatz jährlich Abnehmer in der Gastronomie beliefert. Daß BSN nun Birkel aus diesem Joint-venture herausnimmt und gemeinsam mit den anderen BSN-Produkten den Großverbrauchern anbietet, gilt zumindest unter Pfanni-Leuten eher als unwahrscheinlich. BSN ist zwar auch (nach Heineken) der zweitgrößte europäische Braukonzern („Kronenbourg“), aber ebenso wie die Auslandsbiere auf dem heimischen konservativen Biermarkt dürfte etwa auch der BSN-Sekt „Pommery“ in bundesdeutschen Kantinen eher auf Überraschung denn auf Käufer stoßen.

Der europaweite Nudelboom mit Pasta-Schwerpunkt hat bereits Seiteneinsteiger auf den Plan gerufen: Ins Geschäft mit Fertigsaucen haben sich bereits Unilever, Mars, Heinz und Campbell geworfen. Besonders schnuckelig sind die Zuwachsraten bei Tiefkühl-Nudelfertiggerichten: Pfannis Marktforscher rechnen für Kartoffel- und Nudelaufläufe und Lasagne, Tortellini und Cannelloni mit 70 bis 80 Prozent Umsatzzuwachs zwischen 1988 und 1992, also noch vor der frühestmöglichen Vollendung des Binnenmarktes.

Begünstigt von der steigenden Zahl von Einpersonenhaushalten und den arbeitsamen und wohlverdienenden Dinki-Zweierkisten (double income, no kids), die als „situative Einzelesser“ auf möglichst gesundes Fast-food zurückgreifen, hat die Kombination aus Mikrowelle und Tiefkühlgericht der Branche bereits einen heftigen Fusionsschub gegeben. Schließlich liegen die Verdienstspannen um so höher, je stärker das Produkt verarbeitet ist. Wer etwa Komplettgerichte verkauft, der kann, wenn sie einigermaßen akzeptiert werden, nicht nur mit zwei-, sondern auch mit drei- oder vierprozentigen Gewinnen rechnen.

Das resultiert allerdings aus dem Verbraucher-Verhalten, das nicht vom Binnenmarkt verursacht ist, sondern die Reaktion der Branche auf den Binnenmarkt beeinflußt. Unmittelbare Konsequenzen, da sind sich die Experten einig, resultieren aus den administrativen Elementen der EG -Integration: einerseits den Deregulierungen auf dem Transportsektor, andererseits bei der Vereinheitlichung der Kennzeichnungspflicht und der Vorschriften für die Verwendung von Rezepturen - vor dem Europäischen Gerichtshof haben zahlreiche protektionistische Reinheitsgebote keinen Bestand mehr.

Große Konzerne sind bereits seit längerem dabei, die Rationalisierung auch von Betriebsbereichen voranzutreiben, die für Nicht-Betriebswirtschaftler auf den ersten Blick eher abgelegen scheinen. Dazu gehört vor allem der Transportbereich - Leerfahrten zwischen Fabriken oder vom Großhändler zurück sind teuer. So kann es auch nicht erstaunen, daß Hermann H. Pohl, Generaldirektor von Jacobs Suchard, Ende September auf einem Einzelhandelskongreß erklärte: „Mich würde es nicht stören, wenn unsere Produkte zusammen mit denen unserer Hauptkonkurrenten auf dem gleichen Lastzug transportiert und im gleichen Lager umgeschlagen würden.“

Auch mit der Straffung der Produktion ist zu rechnen, vor allem bei den Euro-Multis. Die Vorteile der größeren Betriebseinheiten, die internationalen Rezepturen und die Vereinheitlichung der Verpackung sollen schon vor der vollendeten EG-Integration ausgenutzt werden - wenn auch der Erfahrungsvorsprung der Schweizer Multis Nestle und Jacobs mit dreisprachigen Aufdrucken insgesamt nicht sonderlich ins Gewicht fällt.

Bei den Produkten der Multis fallen die „Euro-Marken“ künftig besonders ins Gewicht. Auf der Nahrungsmittel-Messe Anuga stellte etwa der Jacobs-Konzern sein neues Dachmarken -Konzept vor - in mehreren westeuropäischen Ländern werden die braunen Pulver von Jacobs nicht mehr als Jacobs-Kaffee, sondern als Jacobs-Cafe vermarktet (während die eingeführten Jacobs-Marken Jacques Vabre und Grand Mere weiterhin den Anteil von 41,5 Prozent am französischen Röstkaffee-Markt garantieren sollen. Hier kommen die neuen Cafe-Sorten hinzu, während die Jacobssche Meisterröstung in der BRD verschwinden wird). Milka wird im gleiche Outfit wie bislang in Mitteleuropa auch Briten in die zarteste Versuchung führen, seit es Schokolade gibt, und Nestles Nescafe ist vermutlich die Marke, der am ehesten schon jetzt das Attribut einer wirklichen Euro-Marke gebührt.

Mit Aufkäufen der Großen ist weiterhin zu rechnen, vor allem, um die Vertriebsnetze für die eigenen Produkte zu übernehmen. „Als BSN letztes Jahr HP Foods kaufte, waren die Absichten mehr darauf gerichtet, französische Produkte in britische Supermärkte zu bringen, als britische braune Saucen über Europa zu verbreiten“, analysierte die 'Financial Times‘ im Frühjahr einen der Schluckvorgänge. Auch durch den Wegfall der Grenzformalitäten mag das Interesse an britischen braunen Saucen auf dem Kontinent nicht steigen. Aber die zahlreichen Fabriken, die sich die Großen zusammengekauft haben, bergen ein großes Rationalisierungspotential, wennn sie auf europaweite Produktion umgestellt werden. Schon hat Unilever angekündigt, aus einer Tiefkühlfirma in Liverpool eintausend Leute zu entlassen. Analysten rechnen damit, daß Unilever in den nächsten fünf Jahren rund ein Viertel seiner europäischen Fabriken schließen könnte. Und auch bei Nestle hat das Nachdenken über die Zusammenlegung der Produktionen schon begonnen. Schließlich unterhält der weltgrößte Food -Hersteller fast 400 Fabriken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen