Özal verfehlt im ersten Anlauf das Ziel

Bei der Wahl zum Staatspräsidenten Zweidrittelmehrheit nicht erreicht / Wahlboykott der Opposition / Im nächsten Wahlgang nur noch absolute Mehrheit erforderlich / Die Türkei auf dem Weg ins Präsidialregime?  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der türkische Ministerpräsident Turgut Özal konnte gestern in der Nationalversammlung nicht die Zweidrittelmehrheit des Abgeordnetenhauses auf sich vereinen, die für seine Wahl zum Staatspräsidenten erforderlich gewesen wäre. Im dritten Wahlgang am 31.Oktober, wenn nur noch die absolute Mehrheit erforderlich ist, dürfte er allerdings sein Ziel erreichen.

Nur Abgeordnete der regierenden „Mutterlandspartei“ beteiligten sich am Wahlgang - die Oppositionsparteien hatten zuvor den Boykott der Wahlen beschlossen. Die Abgeordneten der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ und der „Partei des rechten Weges“ drehten während der Abstimmung im Parlamentssaal Runden in der Parlamentslobby. Nur 285 der insgesamt 450 Abgeordneten nahmen an der Abstimmung teil 247 stimmten für Özal. Aus Protest gegen seine Kandidatur traten drei Abgeordnete aus der Mutterlandspartei aus.

Özals Präsidentschaftskandidatur war erbitterter Kritik sowohl der Oppositionsparteien als auch aus den Reihen seiner Mutterlandspartei ausgesetzt. Die Opposition argumentiert, die Wahl zum Staatspräsidenten setze einen nationalen Konsens voraus. Vor den Kommunalwahlen am 26.März dieses Jahres hatte Özal angekündigt, im Fall einer Wahlniederlage seiner Partei werde er zurücktreten. Die Mutterlandspartei hatte damals nur 21,8 Prozent der Stimmen erhalten und war zur drittstärksten Partei abgesackt. Nach jüngsten Meinungsumfragen sympathisieren nur noch 14 bis 18 Prozent des Wahlvolkes mit der Mutterlandspartei. Dennoch ist Özal fest entschlossen, weiterhin die zentralen Schlüsselpositionen politischer Macht festzuhalten.

Der sozialdemokratische Oppositonsführer Erdal Inönü erklärte, seine Fraktion erwäge, geschlossen ihre Abgeordnetenmandate aufzugeben. Die Mutterlandspartei säße dann alleine im Parlament. „Für das folgende Chaos sind dann sie verantwortlich. Wir können die Demokratie in Schutz nehmen, aber nicht die Mutterlandspartei.“ Auch die Abgeordneten der Partei des rechten Weges erwägen, geschlossen ihre Abgeordnetenmandate niederzulegen, um so Neuwahlen zu erzwingen. Parteichef Süleyman Demirel richtete erbitterte Attacken gegen Turgut Özal.

Unmittelbar vor Ende der Amtszeit von Kenan Evren, der sich nach dem Putsch 1980 in einer „Volksabstimmung“ zum Staatspräsidenten hatte ernennen lassen, hatte die Mutterlandspartei einen Gesetzentwurf eingereicht, um die Pension von Evren erheblich zu erhöhen. Auch die Pensionen der Mitglieder des „Rats des Staatspräsidenten“ - in diesem Rat sitzen die Generäle, die 1980 zusammen mit Evren putschten - wurden erhöht. „Diejenigen, die infolge des Putsches zu Verfechtern der Demokratie wurden, zahlen jetzt Pensionen an die Putschisten“, sagte Demirel.

Nach der türkischen Verfassung, die die Militärs 1982 oktroyierten, hat der Staatspräsident umfangreiche Kompetenzen. Kritiker Özals vermuten, er werde künftig wie in einem Präsidialsystem regieren. Auch Angehörige des liberalen Flügels in der Mutterlandspartei sind besorgt: „Die Ausrichtung der Regierung durch den Präsidenten kann nicht mit dem Parlamentarismus vereinbart werden“, sagte der ehemalige Parlamentspräsident Necmettin Karaduman, ein Parteifreund Özals. Ein Präsidialsystem führe „dieses Land in eine gefährliche politische Krise“.