Keine Gnade für Aids-Kranke

Erstmals soll ein an der Immunschwäche erkrankter Ausländer nach Beirut abgeschoben werden  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen will einen Aids-kranken Ausländer abschieben. Dem 28jährigen Palästinenser Ahmed Z. droht - vielleicht schon in den nächsten Wochen - die Ausweisung nach Beirut. Ahmed Z. ist heroinabhängig und sitzt noch bis Februar im Knast. Trotz der Aids-Erkrankung zeigt sich Innenminister Herbert Schnoor bislang gnadenlos. Die Abschiebung aber wäre für den Krefelder Junkie „ein kaltes Todesurteil“, wie der Aids -Rechtsexperte Manfred Bruns von der Karlsruher Bundesanwaltschaft kritisiert. Das Auswärtige Amt hat der Bonner Aids-Hilfe, die Ahmed Z. betreut, schon im Juli bestätigt, was auch der NRW-Innenminister wissen müßte: „Eine Spezialbehandlung und Betreuung von Aids-Patienten ist im Libanon derzeit unmöglich.“

Die Geschichte von Ahmed Z. ist die Geschichte eines Verlierers im beklemmenden Dreieck zwischen Knast, Nadel und Ausländerbehörde. Vor zwölf Jahren, im März 1977, war der damals 16jährige nach West-Berlin eingereist, ohne die inzwischen verstorbenen Eltern und ohne seine Geschwister. In der Bundesrepublik hat Ahmed Z. „nie richtig Fuß gefaßt“, so das gängige Kürzel für die persönliche Katastrophe eines jungen Mannes. 14 Monate nach seiner Einreise folgt die erste Verurteilung wegen Handels mit Haschisch. Seit Juli 1978 gilt der Palästinenser als heroinsüchtig. Nach „fortgesetzten Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz“ und anderen Straftaten (Körperverletzung, Unfallflucht, Beleidigung) wird der 20jährige im Februar 1981 zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Bis Mai 1982 bleibt er im Knast und wird dann in den Libanon abgeschoben, nachdem im April sein Asylantrag „für den Antragsteller negativ abgeschlossen“ worden war.

Schon im Oktober 1982 reist Ahmed Z. erneut ein und stellt wieder einen Asylantrag. Der wird erneut abgelehnt, doch die von der Stadt Krefeld angedrohte Abschiebung nach dem Libanon-Erlaß der Bundesregierung (keine Abschiebun Fortsetzung Seite 2

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gen mehr ins Kriegs- und Krisengebiet Libanon) aufgehoben.

Bis heute ist Ahmed Z. insgesamt bald 13 Jahre und damit fast die Hälfte seines Lebens in der Bundesrepublik. Mehrere Straftaten, die überwiegend zur typischen Beschaffungskriminalität von Heroinsüchtigen gehören, brachten ihn weitere viermal hinter Gitter. „Alle zwei Tage etwa 100 Mark“, so die Rechnung eines Kölner Gerichts, brauchte er zur Finanzierung seines

Heroinverbrauchs.

Wegen der „wiederholten Straffälligkeit“ stimmte der Düsseldorfer Innenminister Schoor am 25.März 1986 der vom Krefelder Oberstadtdirektor angeregten Ausweisung zu. Seitdem versuchen Ahmed Z. und sein Anwalt Thomas Grüner die drohende Abschiebung durch Klagen und Widersprüche aufzuhalten. Zugleich bemühen sich Aids-Hilfen und Positiven -Gruppen mit Petitionen und Bittbriefen im Dutzend, doch noch eine humanitäre Lösung zu erreichen und die erste Abschiebung eines Aids-Kranken zu verhindern.

Die Situation ist dramatisch genug. Ahmed Z. weiß seit 1986, seit seinem HIV-Test im Knast, daß er positiv ist. Inzwischen hat sich sein Gesundheitszustand stark verschlechtert. Er leidet an Pilz- und Hauterkrankungen; ein insgesamt schlechter Immun-Status und weitere Aids-typische Symptome wurden festgestellt. Die Ärzte teilten Rechtsanwalt Grüner mit, daß in den nächsten Monaten „mit weiteren Komplikationen“ gerechnet werden muß. Eine Behandlung mit dem einzigen bisher gegen Aids in der Bundesrepublik zugelassenen Medikament „Retrovir“ (AZT) wurde von der Bonner Uni-Klinik vorgeschlagen. Zugleich stellte das Bonner Amtsge

richt im Juni dieses Jahres fest:

Der Verurteilte hat sich im Vollzug positiv geführt und befindet sich aufgrund seiner Aids-Infizierung im fortgeschrittenen Infektionsstadium in einem körperlich und psychisch beeinträchtigenden Zustand. (...) Der Verurteilte wird durch die Aidshilfe Bonn betreut und hat insbesondere aufgrund seiner Erkrankung sein bisheriges Leben überdacht und die Gefahren erneuter Straffälligkeit auch in Bezug auf seine Gesundheit erkannt.

Diese Einschätzung wird auch von der Bonner Aids-Hilfe gestützt. Peter Lindlahr: „Ahmed Z. weiß sehr genau, daß er bei erneuter Straffälligkeit vielleicht im Knast sterben wird.“ Lindlahr hat dem nordrhein-westfälischen Innenminister in mehreren Briefen die veränderte Situation dargestellt und für die Zeit nach der Haftentlassung eine Heroin-Substitution durch Methadon angeregt, um weitere Straftaten auszuschließen.

Doch Schnoor bleibt stur. Er sehe keinen Grund, die Abschiebung in Frage zu stellen. „Allein die Aids-Erkrankung des Ausländers ändert diese Beurteilung nicht“, teilte er Lindlahr mit. Wegen des „niedrigen Niveaus medizinischer und therapeutischer Behandlungsmöglichkeiten“ im Libanon schlägt der Innenminister der Aids-Hilfe vor, ob

nicht „mit den Mitteln Ihrer Organisation Herrn Z. Hilfe im Libanon gewährt werden könnte“. Übertroffen wird dieser Vorschlag nur noch durch die Äußerungen von Schnoors Referenten. Wegen des fortgeschrittenen Stadiums, so wurde Lindlahr mitgeteilt, sei ein kurativer Erfolg ohnehin nicht zu erwarten. Bei einem medizinisch aussichtslosen Fall sei eine Abschiebung aber eher zu vertreten als bei heilbaren Krankheiten. Lindlahr steht dafür gerade, daß diese Worte so gefallen sind.

Während Ahmed Z. weiter einsitzt, warten die Aids-Hilfen und Anwalt Thomas Grüner auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, der letzten juristischen Instanz. Wenn das OVG erneut gegen den Palästinenser entscheidet - mit dem Richterspruch ist in den nächsten Wochen zu rechnen - wird der Aids-Kranke in ein Flugzeug verfrachtet und nach Beirut ausgeflogen. Dort dürfte er als Infizierter und Aids-Kranker erst mal „in Gewahrsam“ genommen werden. „Es wird Sie sicherlich nicht überraschen, wenn ich Ihnen mitteile, daß es nahezu unmöglich ist, Aids -Patienten in Beirut in der gegenwärtigen Situation beizustehen“, teilte der libanesiche Botschafter Souheil Chammas der Aids-Hilfe mit.