„Der Sozialismus-Begriff...“

■ Betr. Interview mit Ralf Fücks, taz 13.1O.89

Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einer berechtigten Kritik an den Staaten des „realexistierenden Sozialismus“ und so etwas wie einen „Sieg des Kapitalismus“ und dessen Propagierung. Wenn der Kapitalismus gesiegt hat, dann auf Kosten der Frauen, der sogenannten Entwicklungsländer, einer wesentlich besseren westlichen Ausgangslage nach dem 2. Weltkrieg und den Fehlern des Staatssozialismus. Hieraus einen Kapitalismus abzuleiten, der wirtschaftlich, politisch oder vom Grundsatz her - wenn auch mit meinetwegen großen Veränderungen - erstrebenswert wäre, halte ich für dumm. Genauso wichtig wie die Kritik am Staatssozialismus in Richtung auf die Entfremdung und der Bevölkerung von den wirtschaftlichen Abläufen und dessen Beherrschung durch ein teilweise totalitäres Regiment - vor allem unter Stalin - bleibt eine Ablehnung kapitalistischer Grundsätze und des damit verbundene Systems. (...) Wenn eine Alternative fehlt oder, was vielleicht noch eher zutrifft, im Augenblick nicht durchzusetzen ist, sollten wir sie suchen weiterhin offen und ehrlich benennen. Es wurde nicht nur von Mao geträumt, sondern auch gegen diese Staatsform gekämpft - so habe ich es zumindest einmal gehört. (...) Eine SPDiesierung der Welt wäre traurig. Auch wenn Ralf Fücks seinen jugendlichen „emotionalen Antikapitalismus“ nun endlich abgelegt und intellektuell verarbeitet hat, bleibt das Problem einer gerechteren Gesellschaft etwas umfassender und tiefgehender bestehen als in „eine(r) Reihe von Kritik -Punkten gegenüber dem realen Kapitalismus, und einige(n) Grundorientierungen...“. Ich glaube nicht, daß in Anlehnung an den Formelbegriff des „realen Sozialismus“ irgendwann aus dem „realen Kapitalismus“ ein kapitalistischer Kommunismus entsteht. Die Realität der Politik in Hinsicht auf eine echte Alternative und im Sinne einer eigenständigen neuen Kultur steht eben noch am Anfang. Basisarbeit ist gefragt oder zumindestens ehrlich - was immer das sein mag - und nicht egozentrisch ausharren. Kai Kaschinski