Ein Brunnen von Goertz

■ Kreisdorf Rotenburg haut aufe Kacke / Ne Halbe Million für eine Kunst im öffentlichen Raum

Anderthalb Jahre kochte in Rotenburg an der Wümme, jenem erstaunlich stilbrüchigen, burglosen und uninspirierten Konglomerat an der B 75 eine Suppe: Im Zusammenhang mit der Fußgängerzonisierung der Innenstadt sollte es auch einen Brunnen ge

ben, und zwar diesmal keine Kartoffelverkäuferin, keine Schweinchen und kein Pißmännchen, sondern was Anständiges aus den Sphären der hohen Kunst. So jedenfalls waren die Pläne des Kulturausschusses, des örtlichen Kunstvereins und nicht zuletzt von Bürgermeister Bodo Räke (SPD), deren Wahl auf den besonders in Süddeutschland tätigen, avancierten (und teuren) Jürgen Goertz fiel. Goertz arbeitet monumental und spektakülär, sprich imageförderlich, und es waren zwei Aspekte, die die Rotenburger Suppe (im Hinterland: die Kurt -Vajen-Szene) schäumen ließen: die ca. halbe Million für das ganze Projekt ist für die Kulturprovinz ein Hammer, alle Benachteiligten und Vergessenen von den Kindergarteneltern bis zu den Arbeitslosenvertretern schrien auf. Und dann: „moderne Kunst“, oh Schreck, da jaulten die Traditionalisten und Pferdeskulpturliebhaber. Die lokale Presse war schwer beschäftigt und legte immer wieder gern nach mit BürgerInnenbefragung und Fraktionsgeplänkel. Wird es gar eine obszöne Plastik sein ? Auf alle Fälle: provokativ und aggressiv würde der neue Goertz daherkommen, das betonte der teure Mann aus dem Angelbachtal ja auch immer wieder selbst.

Am Samstag, 11 Uhr, ist es tatsächlich so weit: Ganz Rotenburg

ist auf dem Neuen Markt versammelt um das verhüllte Objekt namens „Par-oh-die“, die freiwillige Feuerwehr hat eine Leiter ausgefahren, um die Decke zu lüften, ein Transparent an einer Hauswand: „Parodie - Ironie - Idiotie - 450.000!“ Und: es stinkt, gottserbärmlich, ein jeder schaut unter seine Schuhe, nach Hundescheiße! ProtestlerInnen hatten nächtens Milchsäure gleich literweise über das Tuch geschüttet. Doch der gewöhnliche Rotenburger ist ein friedlicher, belastbarer Mensch; Ruch, Reden, moderene Musik, er nimmt all das hin, denn dann folgt: die Enthüllung!

Kein Blitz, kein Beben, die Erde tut sich nicht auf: Ein richtig netter, vorzeigbarar Brunnen steht nun mitten in Rotenburg, eine 4,20 Meterfrau aus Bronzekugel, Amphore und glasäugigem Kopf, sie spritzt aus kleinen Röhrchen Wasser ins Becken und hat die Brüste nach steuerbord verschoben. In marginaler Position der Mann auf Sockel, sein Herz trägt er auf dem Kopf, Fenster ermöglichen einen Blick in sein Innenleben, und siehe: Er ist schwanger mit einem Würmchen im güldenen Schuh! Eine tonnenschwere, aber leichtsinnige Ironisierung von Mannfrau, und weil das Ganze ein Ensemble ist, findet man andernorts auf dem Platz noch ein Modell des Brunnens

und dann noch eine „Parodie auf die Paar-oh-die“. „Nett, freundlich, harmlos“ findet die Orts-DKP, und Recht hat sie.

Freundlicher Beifall, dann Würstchenbude und Bekannte sehen: Die RotenburgerInnen haben die Kröte geschluckt, einige werfen Münzen ins Wasser, die ganz Kleinen haben Schuhe und Strümpfe ausgezogen und platschen rum. Der Künstler mit Hut und fliegendem Silberhaar stellt sich den wütenden Massen und kann froh sein, daß sich ein aufgeregter Kid findet. Hat Goertz den Milchsäureanschlag etwa selbst inszeniert? Rotenburg seinerseits hat seine Kicks gehabt und ist jetzt eine Stadt mit Brunnen.

Apropos Brunnen:

Soll doch in Bremen jetzt auch ein Brunnen entstehen, am Grasmarkt zwischen Dom und Rathaus. Soll auch 1/2 Million kosten. Soll aber bitteschön nicht „progressiv“ sein, sondern sich historisierend an einen alten Wilhadi-Brunnen anlehnen. Weil die Bremer bei progressiver Kunst so schnell abblocken. Sagt der Sprecher der Baudeputation, Karl-Heinz Schreiber. Soll sich mal kundig machen in Rotenburg, der Mann, wie man die BürgerIn zur modernen Kunst bringt. Nämlich so: 1) Hochkochen lassen und 2) mit Festakt enthüllen. Burkhard Straßman