Die Jazzbanausen in der Glocke

■ John McLaughlin vor gemischtem Publikum

„Cross-over“ ist das Konzept dieser Tournee der deutschen Kammerphilharmonie, und wenn man das Publikum ansah, war dieses Aufheben der „strengen Unterscheidung zwischen seriöser und jugendlicher Musik“ gelungen. „Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich auch in Jeans gekommen“, flüsterte pickiert eine Dame im Abendkleid hinter mir, und als die mit der Etikette klassischer Konzerte nicht vertrauten „Jugendlichen“ dann zwischen den Sätzen applaudierten, blieben die Nasen der Bildungsbürger für den Rest des Abends gerümpft. Aber auch einige Jazzfans waren verärgert: In den ersten achtzig Minuten war von John McLauglin nichts zu hören, dafür hatten sie ja die gepfefferten Eintrittspreise nicht gezahlt. Schon nach den ersten Takten schoben sich da einige durch die Gänge und knarrten beim Herausgehen mit der Tür.

Auch wenn die Auswahl nur vom Orchester gespielten Stücke sehr geschickt war, wirkten sie doch nur wie ein sehr langes Vorprogramm. Das Orchester spielte unter dem Dirigenten Mario Venzago makellos, und Milhauds „Scaramouche“, eine sehr frühe „Cross-over“ Komposition mit Anleihen bei Blues, Barmusik und Samba, war zugleich gefällig und seriös genug für die Hardcore-Scene der E-Musik. Auch die tonale „Kammersymphonie Nr 2“ von Arnold Schönberg und Charles Ives volkstümliche dritte Symphonie waren so unverschlüsselt und schön, daß auch die in dieser Musikform wenig Bewanderten einen Zugang dazu finden konnten.

Auf den Programmzetteln war der Begriff Uraufführung keck gedehnt, zum ersten Mal war McLauglins Gitarrenkonzert Nr. 2 „Europa“ in drei Sätzen schon vor einer Woche im Premierenkonzert dieser Tournee gespielt worden. Aber so genau nahm das keine, McLaughlin überzeugte als Solist und als Komponist.

Gleich zu Beginn des ersten Satzes gab er mit einer ironischen Geste zu verstehen, daß er sich nicht als klassischer Komponist versteht: Mit einem offensichtlichen Zitat aus den „Sketches of Spain“ von Gil Evans drückte er aus, daß er ein Jazzmusiker geblieben ist und auch mal abkupfert. In seinem ersten Konzert „The Mediterranean“ versuchte er noch sehr angestrengt, die Anleihen bei Debussy, Strawinsky oder Ravel zu kaschieren, jetzt kam seine Komposition schon viel souveräner und leichtfüssiger daher. Und er schrieb sich selbst auch größere Freiräume für sein solistisches Spiel, in den Kadenzen improvisierte er zugleich diszipliniert und ausgelassen, ohne den Zwang zum virtousen Hochleistungsleerlauf, dem er manchmal erliegt.

Im begeisteren Applaus wurden die beiden Lager des Publikums dann doch vereint und mit drei Zugaben belohnt: den Solostücken „Sakir“ und „Trilogy“, bei denen McLaughlin mit witzigen und spontanen Wechseln die Freiheit des Jazzers demonstrierte, und einer kurzen Reprise aus dem 3. Satz, zusammen mit dem Orchester. Danach waren wohl alle zufrieden.

Willy Taub