Heilige Kühe angetastet

Deutschlandpolitische Sparmaßnahmen des Senats  ■ K O M M E N T A R E

Der Senat hat sich an ein politisch heißes Eisen gewagt: In Zukunft sollen bestimmte, berlinspezifische Leistungen für Aus-und Übersiedler gestrichen werden. Begründet wird diese brisante Entscheidung zunächst mit einem Argument, das allemal zieht; man brauche jede Million, um die enormen finanziellen Belastungen aufzufangen, die durch den unerwarteten Bevölkerungszuwachs entstehen.

Jenseits aller Sparmaßnahmen ist dies aber vor allem eine politische Entscheidung, und das machte Walter Momper auch deutlich. Hier geht es um Deutschlandpolitik, hier geht es auch um Europapolitik. Momper hat als erster Landeschef bisher heilige Kühe angetastet, war es doch ein absolutes Tabu, Flüchtlinge aus dem Ostblock nicht bevorzugt zu behandeln. Er setzt statt dessen auf neue Perspektiven, indem er anerkennt, daß es die Reformen etwa in Polen und der Sowjetunion nicht mehr unbedingt nötig erscheinen lassen, aus politischen Gründen zu gehen. Durch die Sparmaßnahmen werden die Anreize für die Menschen erhöht, in ihren Ländern zu bleiben, und darauf zielt Mompers Politik wenn auch noch nicht radikal genug.

Neben dieser begrüßenswerten Stoßrichtung sind die Sparmaßnahmen ein geschickter Schachzug. Denn sie treffen Volkes Gefühle am Nerv, besteht doch von links nach rechts die immer häufiger laut geäußerte Auffassung, daß „denen“ sowieso alles „nachgeschmissen“ wird. Insofern läuft Momper trotz der Empörung, die die Gelderkürzung sicher hervorrufen wird, nur geringe Gefahr, als unpopulär abgestempelt zu werden - auch wenn sich Unionspolitiker moralisch über den Schritt entrüsten.

Kordula Doerfler