ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Die Renaissance der Bügellieder

Die Zeit des deutschen Schlagers ist vorbei. Rundfunk- und Fernsehanstalten verweigern sich dem Gassenhauer deutscher Zunge fast gänzlich. Die Stars der frühen Jahre recyclen ihre Evergreens im Dienst der platten Nostalgie, und jene, die später kamen, haben längst aufgegeben oder verdienen ihr Geld in der DDR, in Ost-Mark plus Ausfuhrgenehmigung für Pelzwaren. Die Hartnäckigen sind übergewechselt in die falsche Sparte Volksmusik, Mundartliches verwirkt mit modernem Arrangement und Zupfgeigen.

Und da kommt eine und tut so, als ob fast nichts gewesen wäre. Marianne Rosenberg, Berlinerin mit ganz großer Vergangenheit im Schlager pur, offeriert eine neue LP mit neuen Schlagern, die anknüpfen an die großen Gefühle und die wahre Wahrheit. Natürlich ist die Liebe das Thema, so wie es sein muß im Schlager, direkt konvertierbar in jede Währung und ohne Zögern ins Hörerinnenherz gezielt. Keine Zeile gibt es mehr mit vordergründigem Feminismus und Frauenpower a la Myhre, Haenning oder Roos, aber auch nichts von Versöhnung und neuem Glück zwischen den Geschlechtern. Die Rosenberg führt auf den Leim.

Mit der schlichten Sprache des Schlagers geht die Sängerin auf den Mann zu: „Ich denk an dich was ich auch tu / Mein Herz schlägt schnell / Und schuld bist du“, und bleibt doch nicht dabei: „Du bist der Mann in meinem Bann / Und du weißt genau / Du bist verloren wenn ich dir nur / In die Augen schau.“ Das verliebte Säuseln schlägt um im gleichen Akkord in eine hintergründige Warnung. Und so geht das Text-Spiel weiter, ganz tief langen die TexterInnen - Marianne Enzensberger, Rio Reiser, Deutschlands Bester Michael Kunze und Marianne Rosenberg selbst - ins altgediente Schlagerrepertoire, und doch bleibt nichts so, wie es ist.

Mit den wenigen, immer wiederkehrenden Bildern geht es um Differenz: differenzierte Gefühle, blanke Ironie, barsche Fremdheit und eine Traurigkeit, die als Grundton alles trägt. „Du liebst deine Phantasie / Doch wie ich wirklich bin erfährst du nie / Geh vorbei“, und: „Doch jetzt töte ich das Gefühl für dich / Die Liebe die mich süchtig macht / Ich belüge mich denn du liebst mich nicht“, und: „Gib nicht was du nicht geben kannst / Bleib so wie du / Pass dich nicht meinen Träumen an / Sei dir bewußt du bist ein Mann.“ Einst sang die Rosenberg „Er gehört zu mir / wie mein Name an der Tür“, und alle waren es zufrieden. Ganz auf dem Sprung in die 90er Jahre läßt sich das nicht mehr singen, diese Wahrheit ist überholt.

Mit der Doppelzüngigkeit der schlichten Schlagerbilder und den eingängigen Rhythmen ohne musikalische Schlenker und Experimente beweist die LP der Rosenberg und ihres Produzenten Harald Steinhauer, daß es so etwas gibt wie deutsche Popmusik, ganz ohne Anspruch auf die Ewigkeit, ohne engagierte Attitüde und ohne ehrgeiziges Niveau. Der Sprung zurück zu den „Bügelliedern“ der 50er Jahre, jenen Songs, den die Frauen beiläufig bei der Arbeit zuhörten, ist damit getan, nicht ohne die Entfernung von mehr als 30 Jahren, die dazwischen liegen, zu verleugnen. Da wird nichts mehr kopiert und ausgeliehen bei den kurzen Trends und nostalgischen Moden. Nur Bilder werden neu gesetzt, in einer veränderten Reihenfolge, und werden so wieder zum Surrogat, das die alltäglichen Gefühle und Gefühlserfahrungen leichthin vorspielt, das man kurz nachklingen lassen kann, ganz ohne Aufwand, nebenbei.

Elmar Kraushaar

Marianne Rosenberg: Uns verbrennt die Nacht, Ariola.