Der sympathische Großrechner

■ Joe Jackson auf Tournee - Musik für die Zwangscharaktere der 90er

Nichts liegt ihm ferner als Unkontrolliertheit. Seine Musik ist Selbstbeherrschung, totales Arrangement. Das Schlüsselwort heißt Konzept. Denn würde dieses früh vergreiste Kind nicht seit zehn Jahren von Platte zu Platte beweisen, daß es ein Zelig des Popbusiness ist, seine unterkühlte Egomanie wäre unerträglich.

Nach drei Jahren steht Jackson mit Blaze of Glory, seinem Midlife-Album wieder auf der Bühne. Er hat alles hinter sich, New Wave, Big-Band-Sound, Swing, Soul, Latin, Soundtracks, Weltmusik, instrumentale Klassik. Für die Bilanz-Tour hat er einen zehn-köpfigen Orchesterkörper um sich gruppiert, einen willfährigen Hintergrund, fähig zu allem, was die Geheimratsecken unter dem Strohhütchen befehlen.

Wie immer spielt Jackson gegen das Publikum, antwortet verärgert Knock yourself out! wenn der ausverkaufte Saal ihn gleich von Beginn an minutenlang emphatisch feiert. Er fordert Disziplin, vom Publikum genauso wie von der Band, deren hochwertige Instrumentalisten nur selten Gelegenheit zum Auslauf erhalten.

Am Beginn steht ein Set mit den Klassikern. Aus dem Bühnendunkel dringt nur ein Bass-Ton, bis der Meister endlich erhellt wird, in einen übergroßen Büroanzug gesteckt, und mit den Tasten einsteigt. Nur er und Graham Maby, der Bassist. Die Band kommt dazu, zwei Gitarren, Posaune, Trompete, Sax & Sax, Schlagzeug. Das Orchester. You can't get what you want till you know what you want. Jackson, der Dirigent, weiß es. Tatsächlich setzt er dann und wann zu orchesterleitendem Gehabe an, nimmt zwischen den Songs - Understatement bis zum Anschlag - Heißgetränk aus der Thermoskanne zu sich. Ein Schreihals aus dem Publikum wehrt sich gegen die puristische Hochnäsigkeit, fordert Rock and Roll und erhält von Jackson nur ein verächtliches What a fascinating concept zurück.

Die Halle des Deutschen Museum in München ist der ideale Ort für Jacksons Fusionen. Ob kammermusikalische Minimalismen oder Big-Band-Jazz, strenger Beat oder Techno -Sample, das Publikum muß brav in den engen Stuhlreihen sitzen bleiben, in Schach gehalten von riesigen bläulich angestrahlten Orgelpfeifen neben der Bühne, Kronleuchtern und der schweren Kassettendecke. Die Beleuchtung ist zurückgenommen, die Band wird fast nur von unten angestrahlt, einfarbig. Show gibt es nicht, nur selten schlägt die Blechabteilung einmal schwingende Beine übereinander.

Selbst für einen Song wie Is she really going out with him ? von dem Jackson auf seinem Live-Album schon drei Versionen angeboten hat, findet der Pop-Professor noch einen neuen Zugang, nur Blech und Gesang. Oder bloß Violine und Gesang fürs schmachtende gebrochene Heimweh, Home Town, oder Bass und Vokal - einfach wie Ideology eben ist. Die Emotion kommt aus dem Kopf, die musikalischen Konstruktionen greifen ans Herz. Kalkulierte Gefühle.

Dann gruppiert sich die Band um den Autisten zum großen Schlag. Die aktuelle Platte in Gänze, das Poesie-Album vom Kinderaugen-Song Tomorrow's World bis zum Protestliedchen gegen das Altern Nineteen forever. Unterbrochen nur, auch wieder mit Bedacht, von der frühen Beziehungs-Ballade Breaking us in Two. Live klingt das Material wie ins Quadrat erhoben. Kopfschütteln ringsum: Das ist perfekt.

Nach dem letzten Lied der Seite zwei stehen alle auf, wie ein riesiger Tonarm, werden mit zwei weiteren Klassikern und Swing aus dem Jumpin‘ Jive-Album belohnt. Am Schluß steht Slow Song, Jacksons Bekenntnis zur intelligenten Musik Why can't they control It / Why can't they hold it back. Zwanghafte Zurückhaltung. So stehen die Gläubigen vor der Bühne, diszipliniert wie Tanzschulkids in der Glenn -Miller-Story.

Der sympathische Großrechner versucht sich in Rührung und tritt ab. Jetzt hat er sich wieder.

Hans-Hermann Kotte

Joe Jackson ist noch am 25.10. in Frankfurt, am 27.10. in Hamburg und am 03.11. in Düsseldorf zu sehen und hören.