„Die Tür bleibt offen“

Jacques Delors, EG-Kommissionspräsident  ■ I N T E R V I E W

Am vergangenen Freitag endete im korsischen Ajaccio ein Treffen mit Vertretern der europäischen Inseln zum Thema „Zukunft der Inseln im Binnenmarkt“. Am Rande des Kolloquiums sprachen wir mit Jacques Delors.

taz: Was haben Sie als Europäer mehr zu fürchten: die bremsende Politik Maggie Thatchers oder die Beschleunigung der Geschichte in den Ländern Osteuropas?

Jacques Delors: Ich denke, Europa kann auf sich selbst vertrauen. Seit fünf Jahren hat die Gemeinschaft der Zwölf so große Fortschritte gemacht, daß wir auf das, was um uns herum geschieht, reagieren können. Wenn jemand an unsere Tür klopft und um Hilfe bittet, werden wir jedenfalls die Tür nicht zuschlagen und sagen: Wir sind gerade mit uns selbst beschäftigt. Die Ereignisse in Osteuropa sind sehr wichtig, und wir haben nicht nur die Pflicht, sie zu analysieren, sondern wir müssen diesen Ländern, so weit wir es können, auf ihrem Weg zu mehr Freiheit und Demokratie helfen, insbesondere durch die Modernisierung ihrer Wirtschaft. Das ist aber keine Gefahr für Europa, sondern eher eine Bereicherung.

Die großen Industrienationen haben die EG-Kommission im Juli auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Paris - mit Zustimmung Gorbatschows - beauftragt, die Hilfen an Polen und Ungarn zu organisieren. Wie weit sind Ihre Arbeiten gediehen?

Wir haben Kontakt zu den Regierungen aufgenommen. Frans Andriessen, der für Außenbeziehungen zuständige EG -Kommissar, ist nach Budapest und Warschau gereist. Die Regierungen Ungarns und Polens haben uns Dokumente gegeben, in denen sie ihre eigene Situation und ihre Bedürfnisse analysieren. Seit August läuft die Lebensmittelhilfe als Sofortmaßnahme für Polen. Darüber hinaus haben wir ein erstes Programm ausgearbeitet, das peu a peu durch Maßnahmen der Mitgliedsländer ergänzt werden wird. Wenn Kanzler Kohl nach Warschau reist, wird er sicherlich zusätzliche Hilfen ankündigen. Unser Ziel ist es, all diese Maßnahmen zu einer wirksamen Hilfe zu koordinieren.

Als in der vergangenen Woche mehr als 17.000 Vertreter des Europäischen Gewerkschaftsbundes zum ersten Mal geeint nach Brüssel zogen und für ein soziales Europa demonstrierten, wurde Ihnen, Herr Delors, der Vorwurf gemacht, das Augenmerk mehr auf die Schaffung der Währungsunion zu legen als auf die Verwirklichung eines europäischen Sozialraums. Hat der Ecu politischen Vorrang in der EG-Kommission?

Wenn man meine Reden durchforstet, wird man ebenso viele Zeilen zum Sozialraum finden wie zum einheitlichen Währungsraum. Das eine geht nicht ohne das andere.

Interview: Alexander Smoltczyk