Ist Frankfurts grüner Zauber futsch?

Im Streit um das größte Hochhaus Europas steht der Frankfurter Magistrat weiter unter Druck / Jetzt drohen die Investoren mit 150 Millionen D-Mark Schadenersatzforderung / Auch die Basis meutert: „Brück, Hauff oder Cohn-Bendit - wir wissen, wo das endet“  ■  Von K.-P. Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Der Streit um das höchste Haus Europas, das mit exakt 300 Metern Höhe geplante Gebäude am Frankfurter Hauptbahnhof, geht weiter. Die rot-grüne Koalition kriegt Zunder von allen Seiten.

„Wir sind doch kein karitativer Verein“, maulte Valentin Weber von der Fay Industrie- und Wohnbau KG aus Mannheim auf einer PR-Veranstaltung seiner Immobiliengruppe. Webers Brötchengeber will das umstrittene Hochhaus „Campanile“ am Frankfurter Hauptbahnhof unter allen Umständen bauen. Dem Frankfurter Magistrat, dessen rot-grüne Mitglieder sich per Koalitionsbeschluß gegen den Bau des Campanile ausgesprochen hatten, setzt das Unternehmen jetzt die Pistole auf die Brust. Satte 150 Millionen D-Mark an Regreßforderungen stünden Volker Hauff und den Koalitionären ins Haus, falls das Projekt nun doch nicht gebaut werden sollte - und das bei chronisch leerem Stadtsäckel.

Doch Immobilienmann Weber drohte nicht nur: Den ohnehin schwankenden Sozialdemokraten, die den Campanile den Grünen nur deshalb vor die Füße gelegt hatten, um im Gegenzug zwei Hochhäuser am Rande des Westends ohne Koalitionsrandale hochziehen zu können (DG-Bank und BfG), bot Weber zugleich ein „hervorragend geeignetes Gelände zum Bau dringend benötigter Sozialwohnungen“ als Köder an: Zuckerbrot und Peitsche. Bislang widerstand die Frankfurter SPD allerdings der Versuchung. Hauffs Planungsdezernent Martin Wentz lehnte selbst Verhandlungen über das angebotene Koppelgeschäft ab, obgleich in der Stadt der Mietwohnraum immer knapper wird und die Preise ins Uferlose steigen.

Mit dem Campanile - und das ist der SPD inzwischen klargeworden - steht oder fällt die rot-grüne Koalition im Römer. Und daß der Basisdruck in Sachen Stadtentwicklung gerade auf die grünen Magistralen immer größer wird, das pfeifen die Spatzen vom Römerdach: „Ob Brück, ob Hauff, ob Bendit - wir wissen wo das endet.“ Dieser böse Spruch jedenfalls ziert seit Wochenbeginn das Frankfurter Stadtbild. Und selbst in der SPD-nahen 'Frankfurter Rundschau‘ häufen sich die Leserbriefe gefrusteter Zeitgenossen, die sich von den Roten und besonders von den Grünen eine „andere Politik“ erhofft hatten und nun verbittert sind: „Der ganze grüne Zauber ist futsch.“

Die Basis der Grünen hatte bereits den Kompromiß um die DG und BfG-Hochhäuser nur widerwillig geschluckt. Sollte nun auch noch der Campanile gebaut werden, wird den Grünen die Basis wegbrechen - so das Fazit nach der Mitgliederversammlung des grünen Kreisverbandes zur Hochhausproblematik vor Monatsfrist.

Eine ganz andere Basis sehen dagegen die Investoren wegbrechen. Das Nein des Magistrats stehe auf tönernen Füßen, behaupten sie und verweisen auf die noch vom alten CDU-Magistrat erteilte erste Baugenehmigung. Doch die Rechtswirksamkeit dieser Genehmigung, die nach Auffassung des neuen Magistrats rechtswidrig zustande kam, wird noch immer von der Einzelkämpferin Hannelore Kraus blockiert. Frau Kraus, die im Schlagschatten des geplanten Campanile ein Haus besitzt, hat sich ihre Nachbarschaftsrechte von den Investoren bislang für keine der angebotenen Summen abkaufen lassen. Im Gegenteil: Mit Erfolg erstritt sich die letzte Einwenderin gegen das Hochhausprojekt vor Gericht die Akteneinsicht in Bauvorlagen und Prüfungsunterlagen, die bis dahin als „Verschlußsache“ geheimgehalten worden waren. Wie ihr Rechtsanwalt Mathias Möller am 10.Oktober erklärte, sei Frau Kraus bereit, die Verantwortung für die Schlüsselrolle im Streit gegen den Campanile zu übernehmen. Mit der Entscheidung des Magistrats, den nachbarschaftlichen Einspruch argumentativ und rechtlich zu untermauern, hatte ihr die Stadt diese Rolle übertragen.

Die Campanile-Investoren bezeichneten die Verweigerungshaltung von Frau Kraus dagegen als „dünnes Brett“ für die Magistralen der Stadt. Nach der ursprünglichen Stadtortplanung - der neue Turmbau zu Babel wurde von den Planern um 22 Meter verschoben - sei die Einwenderin ohnehin keine „Nachbarin im Sinne des Gesetzes“. Doch dieser Verfahrenstrick zieht nicht: Die Standortverschiebung aufgrund des alten Planes würde nämlich ein neues Genehmigungsverfahren zwingend erforderlich machen. Und dieses neue Verfahren dürfte unter rot-grüner Federführung kaum „positiv“ enden.

Bleibt die Drohung mit den 150 Millionen Schadenersatz, die von den Investoren im Falle des Bauverbots eingeklagt werden - so jedenfalls ihre Ankündigung. Immerhin habe man alle „Sonderwünsche“ des alten CDU-Magistrats erfüllt. Und die seien schließlich mit 56 Millionen D-Mark zu Buche geschlagen. Darüber hinaus seien Vorverträge abgeschlossen worden, etwa mit der US-Hotelkette „Ramada“, die im Campanile eine Luxusherberge einrichten wollte, oder mit Baustofflieferanten.

Volle Rückendeckung erhalten die Investoren von der Deutschen Bundesbahn. Die Bahn will nämlich im Zuge des Campanile-Baus ihre eigenen alten Bausubstanzen sanieren. Entsprechende Pläne waren mit der Landesregierung bereits abgestimmt worden. Die Bahn drängt deshalb den Campanile -Bauherrn zur juristischen Offensive.

Zum Verwaltungsgericht führen zwei Wege: Entweder fangen die Investoren aufgrund der ersten Teilgenehmigung umgehend mit dem Bau an und provozieren so einen Baustopp der Stadt, womit die juristische Schlacht eröffnet wäre. Oder sie beginnen die gerichtliche Auseinandersetzung mit einer Klage gegen Hannelore Kraus wegen angeblich unberechtigter Nachbarschaftsrechte.

Wie auch immer: Ob die politische Entscheidung gegen das Monster am Hauptbahnhof gerade in der Finanzmetropole Frankfurt gegen wirtschaftliche Interessen und juristische Fallstricke durchsetzbar ist, werden die nächsten Wochen zeigen. Die Stadt hat erst mal einen Gutachter beauftragt, das bisherige Genehmigungsverfahren juristisch zu prüfen. Ende November soll das Ergebnis vorliegen. Vielleicht bewahrheitet sich dann, was der Frankfurter Hans Beckmann in einem Leserbrief feststellte: „Die Investitoren und Spekulanten werden auch künftig bestimmen, wo Hochhäuser gebaut werden.“