Zwischen Rot-Grün und irgendwo

■ Die „Erneuerer“ in der Deutschen Kommunistischen Partei hängen immer noch an ihrer alten Heimat

Auf einem „Sonderplenum“ zum Thema DKP analysierten Parteidissidenten den Zerfall der Partei und stellten Mindestanforderungen für den Verbleib in der DKP. Die Grünen sind für viele zwar eine Alternative; eine neue Heimat erhoffen sie sich von ihr nicht.

„Mein größter Wunsch ist: Wir bleiben zusammen!“ Frenetischer Beifall, rhythmisches Klatschen im überfüllten Hörsaal 6 der Frankfurter Universität. Steffen Lehndorff, Kreisvorsitzender der Kölner DKP, appelliert an die Erneuerer, sie dürften sich nicht spalten lassen: in jene, „denen das Parteibuch verdammt locker in der Tasche sitzt“, und jene, die wie der Bremer Dieter Gautier sagen: „Ich gebe diese DKP nicht kampflos auf, kein Stück.“

Dabei sind sich doch fast alle einig, wie miserabel die Lage ist: Der Zerfallsprozeß der DKP gehe unaufhaltsam weiter, 20.000 Mitglieder hätte die Partei nur noch, und die Hoffnung auf eine Erneuerung zerrinne immer mehr. Dennoch: Am Samstag abend, auf einem „Sonderplenum“ zum Thema DKP, bekommen all diejenigen noch einmal emotionalen Rückhalt, die sich für den Kampf auf dem Sonderparteitag im Februar rüsten. Eine Genossin aus der Hamburger Erneuerer-Hochburg stellt sogenannte Mindestanforderungen der oppositionellen Delegierten für ein Verbleiben in der DKP vor: Punkt eins ist die Orientierung auf „Rot-Grün“ und der Verzicht der DKP auf eine eigene Bundeswahl-Kandidatur. Es folgen: Eine Neubestimmung des Verhältnisses zur DDR, verbunden mit der Forderung an die SED, das „Neue Forum“ zuzulassen; Handlungsfreiheit für die Strömungen in der DKP und schließlich: der Rücktritt des Vorstands. Ellen Weber, die stellvertretende Parteivorsitzende, nennt diese Forderungen einen „abenteuerlichen Spaltungsplan“ und signalisiert Entgegenkommen nur in einem Punkt: „Keine Führung ist ewig.“ Das kann bedeuten: Herbert Mies als Bauernopfer zur Befriedung der Erneuerer.

Das Minimalprogramm der Oppositionsfraktion zeigt, was die Erneuerer eint: die Orientierung auf Rot-Grün und auf Demokratisierung. Das trennt die Strömung von den Traditionalisten der Parteiführung, doch macht sie zugleich wenig unterscheidbar vom bisherigen grünen und linkssozialdemokratischen Spektrum. Werner Stürmann plädiert folgerichtig für einen Eintritt in die Grünen. Entgegen der Warnung des Redners Thomas Ebermann, die Linken sollten nicht die immergleichen Fehler wiederholen und nun auf einen Zug aufspringen, den andere gerade verlassen, sieht Stürmann Möglichkeiten bei den Grünen. „Daß Linke in den Grünen maßgeblich Politik durchsetzen können“, ist für ihn „nicht zu bezweifeln.“ Und jegliches andere Organisationsprojekt links von der SPD sei „sektiererisch“, „realitätsfern“ und „perspektivlos“.

Unterscheidbar vom herkömmlichen rot-grünen Spektrum sind die Erneuerer hingegen durch einen vorerst diffusen Anspruch - den Marxismus in Theorie und Praxis zu erneuern. Und wenn dies in der DKP nicht gehe, dann eben außerhalb. „Die Rekonstruktion des Marxismus ist nicht identisch mit dem Machtkampf in der DKP“, sagt eine Sprecherin der oppositionellen Parteitagsdelegierten. Dieser Anspruch widersetzt sich dem Zeitgeist, Marxismus und Sozialismus totzusagen, und er hat die Vertreter fast sämtlicher linker Gruppen in der Bundesrepublik bewogen, sich in die Debatte auf diesem Kongreß einzumischen. Allein dies mit großer Beteiligung in einer Phase linker Sprachlosigkeit organisiert zu haben, mag den Erneuerern als Verdienst angerechnet werden. Sie bemühen sich auch, den schwersten Felsbrocken vor dem Tor zur einer „kommunistischen Erneuerung“ fortzuschieben: den Stalinismus. Auf dem Eröffnungsplenum erhoben sich die Teilnehmer zu einer Schweigeminute für die Opfer des Stalinismus, und vielen war ihre innere Bewegtheit anzusehen.

Wenn es auf den sechs Foren und in 17 Arbeitsgruppen aber um die inhaltliche Füllung des marxistischen Anspruchs ging, waren die Beiträge der Erneuerer eher kärglich. „Marxismus als Theorie der Befreiung“ und „marxistischer Meinungspluralismus“, so lauteten die arg strapazierten Schlagworte. „Die eingebildete Grundlage kommunistischer Politik, nämlich das idealisierte Bild vom realen Sozialismus, zerfällt vor unseren Augen“, sagte Klaus Peters auf dem Forum „Bedeutung des Marxismus“. Und: „Die kommunistische Bewegung alten Typs ist unwiderruflich am Ende.“ Wie sich Kommunisten eine „neue Identität“ erarbeiten könnten, dafür haben die oppositionellen Parteitagsdelegierten am Wochenende eine Plattform vorgelegt. Auf eng bedruckten 13 Seiten finden sich viele gute sozialistische Ideale, doch in der Kernfrage, wie sich Reform und Revolution zueinander verhalten, fällt die Plattform auf Juso-Papiere der siebziger Jahre zurück: Aus „schrittweise erweiterten demokratischen Reformen“ würde sich zunächst eine „günstigere Entwicklungsrichtung des staatsmonopolistischen Kapitalismus“ ergeben, und „in der Dialektik des Übergangsprozesses“ würden sich daraus dann „wesentliche Elemente eines modernen Sozialismus“ herausbilden. Vertreter der orthodoxen DKP-Mehrheit krisierten diese Passagen in Frankfurt als „blanken Reformismus“.

Schwer tun sich die Erneuerer, jedenfalls in ihrer männlichen Mehrheit, auch mit einem Element, das sie selber als programmatisch zentral bezeichnen: dem Feminismus. Streng quotiert und gleichberechtigt sollte es auf dem Kongreß zugehen. Doch nachdem sich bereits am ersten Abend die Marxismus-Debatte fast ausschließlich unter Männern abgespielt hatte, probten die Frauen den Aufstand: Sie verweigerten sich dem gemeinsamen Abschlußplenum mit den „ewig labernden Typen“ - getagt wurde in zwei Hörsälen nach Geschlechtern getrennt, mit Video-Kontakt.

Wer auf diesem Kongreß auf ein Signal zum massenhaften Austritt aus der DKP gewartet hat, wartete vergebens. Vorerst üben sich die Erneuerer im Spagat: mit einem Fuß drin bleiben, mit dem anderen draußen Halt suchen. Eigene Strukturen sollen das Haltsuchen draußen erleichtern. Geeint werden die Erneuerer vorerst durch das Bedürfnis, irgendwie „zusammen zu bleiben“. Und einige träumen sogar noch vom ungarischen Weg: eine „Umgründung“ der DKP bewirken zu können. Denn, so formuliert es eine Sprecherin, „bei allen Zerfallserscheinungen ist doch in der DKP ein beachtliches Kräftepotential von marxistisch gebildeten Menschen“, und da sei die „zahlenmäßig stärkste Gruppe in der BRD-Linken“.

Spätestens nach dem Parteitag im Februar werden sich die Erneuerer entscheiden müssen. Und manche wissen vermutlich, daß das gegenwärtige öffentliche Interesse vor allem ihrer Oppositionsrolle in der Partei zu verdanken ist.

Charlotte Wiedemann