Kapital versaut Crash

Die Bedingungen sind heute anders als 1929  ■ N O C O M M E N T

Für Mark Twain war der Zeitpunkt des Börsencrashs noch einigermaßen beliebig: „Der Oktober ist ein äußerst schlechter Monat für die Bösenspekulation. Die anderen schlechten Monate sind Januar, Februar, März... “ usw. 60 Jahre nach dem berühmten Schwarzen Freitag im Oktober 1929 mag mancher Börsianer anders darüber denken und nach den Erfahrungen von 1987 und 1989 froh darüber sein, daß es nur einen Oktober pro Kalenderjahr gibt. Gerade die Erfahrung dieses Jahres sollte jedoch ängstliche Naturen veranlassen, cool in die jeweiligen Oktober des kommenden Jahrzehntes zu starten.

Auch wenn der Kurseinbruch vor eineinhalb Wochen in Frankfurt noch stärker war als beim großen Crash vor zwei Jahren, auch wenn das ganze diesjährige internationale Tohuwabohu realere Hintergründe hatte als zuvor, so ist doch die äußerst windige Praxis von Konzernübernahmen durch die Junk-Bond-Finanzierung in den Vereinigten Staaten, auf der ein Großteil des vergangenen Börsenbooms basierte, ins Wanken geraten: Die internationalen Börsen strahlen wieder den Eindruck aus, als sei nichts gewesen.

Unterm Strich bleibt erst mal festzustellen, daß die mit Kapital handelnde Branche der Banken und Versicherungen derzeit nicht nur so mächtig ist, sondern sich auch so fühlt, daß sie durch betriebswirtschaftlich eigentlich unsinniges Verhalten die ins Trudeln gekommene Börsenwelt wieder auffangen könne. Der Kapitalismuskritiker darf sich zwar mehr denn je darüber mokieren, daß die Konzentration der Geldsäcke immer größere Dynamik gewinnt. Die Kehrseite für ihn liegt jedoch darin, daß ihm diese Konzentrate den schönsten Crash des Systems versauen.

Würden sich Banken und Versicherungen 1987 und dieses Jahr wie die aus einzelwirtschaftlicher Sicht rational handelnden „homines oeconomici“ verhalten haben, dann hätten sie nach den jeweiligen ersten Kurseinbrüchen Aktien und Wertpapiere nach Kräften verkauft, um sich vor dem Ärgsten zu retten. Wenn sie nun in die gegenteilige Richtung marschiert sind, unter der Gefahr weiterer Kursstürze eher noch hinzugekauft haben, um das Ganze - und damit natürlich zuvörderst sich selbst - einmal mehr mit Erfolg zu retten, so ist dies ein Ausdruck von höchster Kapital- und Machtkonzentration und auch Machtbewußtsein. Anders als vor 60 Jahren liegt heute so viel flüssiges Kapital in den Schatullen von immer weniger Finanzinstituten - heute z.B. nur noch drei Großbanken, 1929 noch fünf -, daß das Ruder nach Belieben herumgerissen werden kann - oder auch nicht.

Ulli Kulke