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Selbstkritische Töne in der IG Metall

Franz Steinkühler: „Ich bin ein Kind des Widerspruchs“ / IGM-Gewerkschaftstag am Vorabend einer schwierigen Tarifrunde / Eine Ohrfeige des Bundespräsidenten für den Wirtschaftsminister  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - „Auch ich bin ein Kind dieses Widerspruchs“, räumte Franz Steinkühler, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, am Montag zu Beginn des IGM -Gewerkschaftstages ein - des Widerspruchs zwischen der von ihm immer wieder proklamierten Offenheit, Toleranz, Kooperationsfähigkeit der IG Metall und seiner Ungeduld: „daß es oft schneller zum Ziel führt, allein entscheidend die Richtung vorzugeben und ihre Einhaltung zu überprüfen“. In seiner Ergänzung des schriftlichen Geschäftsberichts hat der Vorsitzende damit ein ungelöstes Problem angesprochen.

Die IG Metall will sich als kämpferische, diskussionsfreudige, demokratische Gewerkschaft profilieren, und gleichzeitig ist die Figur ihres Vorsitzenden erdrückend dominierend, sowohl innerhalb der Organisation als auch in den Medien. Die Gefahr für die Handlungsfähigkeit der Metallgewerkschaft am Vorabend einer schweren Tarifauseinandersetzung um die endgültige Durchsetzung der 35-Stunden-Woche liegt auf der Hand: Streiks lassen sich nur mit einer motivierten, selbständig handelnden Mitgliedschaft führen und durchstehen.

Die Zukunftsdiskussion der IGMetall, die Steinkühler im letzten Jahr seiner Organisation verordnet hat, ist im Apparat und an der Basis nicht nur mit Wohlgefallen aufgenommen worden. Es gibt auch Verunsicherung. Klaus Zwickel, das für Tarifpolitik zuständige Vorstandsmitglied, hat in seinem Vortrag am Montag morgen die kurzfristigen Prioritäten in den Vordergrund gestellt: die Tarifauseinandersetzung im Frühjahr 1990, für die nach den politischen Interventionen des Wirtschaftsministers Haussmann die Zeichen auf Sturm stehen.

Die 35-Stunden-Woche soll durchgesetzt werden, und einen kräftigen Lohnzuschlag soll es angesichts der boomenden Unternehmergewinne und jahrelanger lohnpolitischer Zurückhaltung der Gewerkschaft geben. Das freie Wochenende, Objekt der Begierde der Flexibilisierer im Unternehmerlager, soll verteidigt werden.

Daß die Allianz zwischen Unternehmern und dem Bonner Regierungslager nicht mehr ganz so nahtlos funktioniert wie noch im Arbeitskampf 1984, hörten die Delegierten am Sonntag wärend der Eröffnungsveranstaltung von höchster Stelle: Bundespräsident von Weizsäcker versicherte in deutlicher Anspielung auf die jüngsten antigewerkschaftlichen Ausfälle des Wirtschaftsministers Haussmann: „Der Staat hat, soweit er nicht selbst Tarifpartei ist, am Verhandlungstisch über Löhne und Arbeitsbedingungen nichts zu suchen.“ Eine Ohrfeige für den Wirtschaftsminister, die von den Delegierten mit freudigem Beifall bekräftigt wurde.

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