INS LEERE SPRECHEN ÜBEN

■ Am Sonntag wurde in der Akademie die „Frauenkultur“ abgehört

Akademie der Künste, Sonntag morgen kurz nach zehn. Der Tag verspricht nichts Gutes: „Liebe Frauen“, grüßt da die SPD -Kultursenatorin auf den emotionshungrigen Magen, „egal wo wir stehen: auch wenn wir in der CDU sind, sind wir diskriminiert“. Zack, da rauscht schon gleich die Pranke zur Umarmung nieder, der Vollmund gespitzt zum feministischen Schwester-Kuß. Von der SPD lernen heißt Zügeln lernen! Sprechen Sie nach dem Pfeifton!

Und sie sprachen, die lieben Frauen. Von morgens um zehn bis Mittags um halb zwölf. Von nachmittags um halb drei bis nachmittags um fünf. Von abends um sechs bis abends um halb neun. Und die Kultursenatorin hörte. Denn es handelte sich um ein Hearing, das sie bezahlte. Schließlich wurde im März koalitionsvereinbart, die Damen mit einem Frauenkulturhaus beglücken zu wollen, und da sollte jetzt mal die Freudenbereitschaft getestet werden. Kollaboriert und sich mitverantwortlich gemacht für diese Veranstaltung mit dem lyrischen Titel „Frauen Kultur Kultur Arbeit“ (das müssen Sie zweimal laut lesen!) hatte die nicht weniger elegant benannte „Initiative Frauen und Kultur / Frauenkultur“ (Leseempfehlung s.o.). Doch auch der Tag wird kommen, an dem Frauen alle Worthülsen fallen lassen!

Vorerst aber geht es darum, der zahlenden Senatorin zählende Unterdrückungsquoten zu liefern. Martiny: „Die Diskriminierung muß quantifizierbar werden.“ Beliebt: die Nennung einstelliger Prozentanteile von Frauen in allen Kulturbereichen. Die zu diesem Zweck geladenen 14 Referentinnen hatten ihre Hausaufgaben gemacht. Außer Inge Morgenroth und Margarethe Schubert, die ein Pott-Pürree mit den beliebtesten Stellen aus der Frauen-Leitliteratur zum Vortrage brachten, stellten die allermeisten der Vorsprecherinnen zunächst die kurze Geschichte der Frauen in ihren jeweiligen Herkunftssparten in den düsteren Auditoriumsraum. („Um 17 Uhr kommt der Beleuchter, dann wird's hell.“) Neben der erfahrungsberichtenden Hamburger Frauenkulturreferentin Susanne Kandler sprachen aus Berlin über Literatur: Elsbeth de Roos, Dagmar Schultz; Theater: Anne Schöfer, Ellen Esser; Musik: Melanie Beyer, Barbara Kaiser; Film: Hildegard Westbeld; bildende Kunst: Ingrid Wagner-Kantuser, Ines Lindner, Ursula Bierther, Annette Eckert, Karoline Müller. Zwanglos folgte nach der historischen Betrachtung der Übergang zu einer Schlechten -Zustandsbeschreibung, um schließlich auf ausdrückliches Geheiß der SPD noch den „unpolitischen, kindlichen Weihnachtswunschzettel“ (Adrienne Göhler) abzuleisten.

Und zur Wende zum Guten gehört zunächst die Beschwörung des Bösen. Es durfte - ja sollte - geklagt werden: Über Cliquenwirtschaft von Männern, über Ellbogenfrauen, über den Mangel von Professorinnen, die Studentinnen ihre weibliche Sicht der Dinge vermitteln könnten, über männlich dominierte Literaturlisten, über männliche Qualitätskriterien, über die Altersbegrenzung bei der Stipendienvergabe, die nur geradlinige Biographien zuläst, über den Mangel von Frauen in der Hochkultur, über die Jurys und Beiräte, über die Ausstellungsmacher, über das männliche Definitionskartell, über die fehlende feministische Infrastruktur etc. Die größte Blödheit kam aus dem Publikum: Während in letzter Zeit das Aufrechnen des Sozialen gegen die Kultur zu zweifelhafter Konjunktur gekommen ist, und während einige Frauen hervorhoben, gerade den multi- bis interkulturellen Austausch intensivieren zu wollen, brachte es Sarah Haffner fertig, Emigrantinnen gegen die ideele Gesamtfrau auszuspielen: „Heutzutage muß man ja Ausländerin sein, um als Künstlerin besonders gefördert zu werden. Die haben seit fünf Jahren jedes Jahr eine Ausstellung. Ist das denn unbedingt nötig?“ Protest gab's dafür übrigens kaum, frau wollte Harmonie um jeden Preis und klatschte für den größten Scheiß.

Was jetzt das Gute betrifft, das da den Frauen so rot-grün vor der Nase rumwedelt, das soll so aussehen: Für die einen (inklusive Frauensenatorin) liegt das Heil im Frauenkulturhaus oder anderen Kulturproduktions- und Verwahranstalten, für die anderen (inkl. Kultursenatorin) liegt es - aus unterschiedlichen Gründen - im Irgendwo und Überall, will sagen in der flächendeckenden weiblichen Präsenz in allen Bereichen. Hierzu bedürfte es dann der ...

-genau - ... Quotierung, der personellen sowie der „inhaltlichen“ (?!). Und zwar in den Gremien, in der Lehre, in den Jurys etc. bzw. in den Literaturlisten, in den Ausstellungen, in den Spielplänen, an den Aufführungsorten. Und solche Quoten wiederum wären ja Verhandlungsmaße: „Das ist wie bei der Gewerkschaft, wir fordern 100 Prozent und kriegen 20.“ Soweit hätte es die Frauenbewegung dann gebracht: Einige Damen würden glatt mit den Männern über ihre Rechte feilschen.

Denn einen ernstgemeinten sofortigen 100prozentigen Austausch überall und auf mehrere Jahre forderte eigentlich nur die GAL-frauenlistenerfahrene Hamburger Kunsthochschulpräsidentin Adrienne Göhler abends bei der Podiumsdiskussion: „Trotzdem kann Kunst von Männern gefördert werden - ich bin ja sehr für Großzügigkeit -, aber nach anderen Kriterien als dem Marktwert. Dann könnte wirklich eine neue Kultur entstehen.“

Mit solchen Vorschlägen gehörte Göhler zu den wenigen Frauen, die sich überhaupt Gedanken über den Kulturbegriff gemacht hatten. Während das fleißige Absingen von den beliebten Selbstvergewisserungs-Hohlphrasen a la „Kultur zwischen den Stühlen“, „Subversion als Aufgabe“, „Ausbrechen aus eingefahrenen Wegen“, „Unterstützung der Suchenden“ u.ä. regelmäßig zu heftigem Applausbrausen führte, verhallten etwa die Überlegungen der Musikwissenschaftlerin Melanie Beyer: Sie stellte nämlich klar, daß die gesamte (männlich geprägte) Zivilisation schließlich am Ende wäre, und sich in einer solchen Situation nicht etwa Frauen um einen Qualitätsbeweis bemühen müßten, sondern die Männer, schon im Interesse des Überlebens der Menschheit. Entsprechend müßte ein dringend notwendiger neuer Kulturbegriff auf „Pflege statt Entbergen“ und auf Sozialverträglichkeit ausgerichtet werden, abgesehen davon, daß Kultur überhaupt ressourcenschonender als andere Konsumgüter sei.

Ansonsten blieben die Mädels in den vorgegebenen Rahmen und Sparten: hie Theater, da Malerei, hier Schmuddel- bzw. Sozial-Kram (neudeutsch: dezentrale Kulturarbeit), da Glamour-Show (neudeutsch: Repräsentations- bzw. Identifikationskultur). Logisch, daß die Ewig-zu-kurz -Gekommenen schon gern auch mal am Luxus nesteln wollen. Die Theaterfrau Ellen Esser möchte sich deshalb gerne ein Staatstheater unter den Nagel reißen: „Ich möchte nicht die Königin des Off-Theaters werden. Ich bin über das Alter hinaus, in dem man arm sein kann.“ Weg von der Elitekultur wollen hingegen die Verlegerin Dagmar Schultz sowie die „Schreib-das-auf-Frau„-Pionierin Elsbeth de Roos. Sie wären schon über die Förderung des kreativen Schreibens für jedefrau plus Integration literarischer Erfahrung in den Alltag mittels Dichterinnenlesungen an allen Ecken und Enden glücklich.

Aber wie auch immer - daß es sich nach diesem Tag für die Damen und die nächsten paar Jahrzehntchen erstmal wieder ausgefordert hat, dafür wird die Tante SPD schon sorgen. „Quotierung kann man nicht einfach auf Kultur übertragen. Wir haben auch in der SPD einen Prozeß gebraucht“, warnte deren auch in Frauenfragen völlig unbeleckte kulturpolitische Sprecherin Karen Greve. Ähnlich wie ihre Parteifreundin Martiny, die die Frage problematisierte „Wie weit wollen wir uns ausgrenzen?“, fand auch Grewe: „Frauen sollten sich nicht in eine Ecke begeben, in der sie alleine sind.“ Allein mit 53 Prozent der ausgegrenzten Menschheit das war selbst den wohlwollenden lieben Frauen zu viel. Die (neben Martiny; Greve; Göhler, Kandler, Sabine Weißler, AL; Barbara John, CDU; Bettina Busse, Musikerin, Evelyn Kuwertz, Malerin, Christel Wankel, GEDOK; Marianne Pitzen, Bonner Frauenmuseum und Brigitte Hammer als Diskussionsleiterin) ebenfalls auf dem Podium sitzende Literaturwissenschaftlerin Andrea Kuhn: „Das ist ja furchtbar. Wenn ich das höre: Überzeugungsarbeit, Hoffnung auf Akzeptanz von Künstlerinnen - ja von wem denn?!“

Randgruppenbemerkung: Einmal verschwand die Senatorin. Sie mußte eine Ausstellung mit Bildern von DDR-Künstlerinnen (noch so ein Wortvergeudungstitel: „Kunst von Frauen Frauenkunst? Weiberkunst?“) eröffnen, die komplementär zu der Gemischt-Ost-Kunst-Ausstellung (43 Männer/elf Frauen) im schönen Bethanien an der miesesten und reaktionärsten Ausstellungsadresse der Stadt, nämlich im Deutschlandhaus, stattfindet. Aber: „Das Frauenthema läßt alles Konservative von einem (?) abfallen“, hatte Oberschwester Anke in der Akademie ja festgestellt. So einfach geht das mit der Erleuchtung, den Frauen, der Revolution und der SPD.

Gabriele Riedle