: Ein historischer Auftritt
■ Willi Hoss vor dem IG-Metall-Gewerkschaftstag
Ein gewerkschaftliches Schisma ist beendet. Der Auftritt von Willi Hoss am Montag vor dem Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Metall markiert ein historisches Datum. Siebzehn Jahre Ausgrenzung sind vergangen, bis der frühere 'plakat'-Betriebsrat und jetzige Bundestagsabgeordnete der Grünen wieder vor einem Forum der IGMetall auftreten konnte - und dann gleich vor dem höchsten demokratischen Beschlußorgan dieser Organisation: eine triumphale Rückkehr und eine längst überfällige dazu. Der Auftritt von Willi Hoss ist die Rückkehr zur Normalität als Abschluß einer unnormalen Vergangenheit.
Es bedurfte einiger Veränderungen in beiden Lagern, um dies möglich zu machen. Die IGMetall versucht seit einigen Jahren kontinuierlich, rot-grüne Inhalte in ihrer politischen Strategie zu entwickeln. Die Ausgrenzung der Ökologie ist vorbei und einer manchmal schon fast zu schnellen Vereinnahmung ökologischer Anliegen zugunsten der gewerkschaftlichen Beschäftigungspolitik gewichen. Immerhin, die differenzierten Ausführungen von Hoss, der auch auf die Möglichkeit des Verzichts hinwies, wurden von den Gewerkschaftern mit Zustimmung aufgenommen. Es blieb der Eindruck, als sei dort jemand zurückgekehrt, der eigentlich nur einen „Fehler“ gemacht hatte, nämlich seiner Zeit und seiner Organisation um einige Jahre voraus zu sein.
Aber auch bei den Grünen ist offensichtlich eine Veränderung im Verhältnis zu den Gewerkschaften eingetreten. Es gibt nicht mehr den ökologischen Fundamentalismus, der zwar die gefährdete Natur thematisiert, aber nicht die sozialen Verhältnisse der Menschen. Es gibt auch nicht mehr den Versuch, die versprengten gewerkschaftsoppositionellen Grüppchen aus der K-Gruppen-Zeit mit ihrem inhaltsleeren Radikalismus im Namen der Basisorientierung gegen den Apparat ins Feld zu führen. Vielleicht besteht jetzt erstmals in den Gewerkschaften und bei den Grünen die Chance, ökologische und soziale Problematiken zu einer konsistenten Reformstrategie zu verbinden. Nur so kann letztlich auch eine soziale Basis für eine rot-grüne Politik auf Bundesebene entstehen.
Martin Kempe
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