Der Dom als Brücke zur Geschichte

■ Domprediger Abramzik führt durch 1200 Jahre Geschichte

Eine Auftragsarbeit von Bürgermeister Wedemeier veranlaßte den Domprediger Günter Abramzik zu einem Streifzug durch den Dom und seine Geschichte. Zur 1200-Jahr-Feier im kommenden November sollte ein Geburtstagsbuch entstehen mit dem An

spruch, über das übliche Jubilate hinauszugehen.

„Ein Geschichtsbewußtsein, das alle Epochen des Domes wahrnimmt,“ will der Domprediger vermitteln und verweist immer wieder auf die historisch-politischen Hintergründe, die den Dom als Bauwerk geprägt und verändert haben.

Viele baugeschichtliche Einzelheiten charakterisieren über Jahrhunderte den Dom und symbolisieren das Lebensgefühl der jeweiligen Epoche. In seiner Gesamtansicht ist er deshalb vor allem durch die Vielfältigkeit seiner Symbolik und deren Widersprüchlichkeit interessant: Das Taufbecken in der Westkrypta beispielsweise wird von dämonischen Gestalten getragen. Die Entstehung um 1220 weist auf die Kreuzritterideologie bei der Ver

breitung des Christentums hin. Die unglücklichen Kreaturen auf dem Rücken wilder Tiere tragen mit dem Taufbecken schwer an der Last des Christentums.

Charakteristisch und nachvollziehbar ist der Wandel der Epochen und des Bewußtseins auch in den Skulpturen, die die Innensicht des Doms schmücken. Während in der romanischen Ära des Doms die majestätisch-mächtigen Jesus- und Heiligengestalten dominieren, geht die Gotik zur Darstellung des Leidens über. Die kreuztragende Jesusfigur wird zum Symbol des leidtragenden Menschen.

Für Abramzik sind die architektonischen Leistungen des Mittelalters die Voraussetzung für das Entstehen der wissenschaftlichen Denkstrukturen. Besonders markant sind die gotischen

Gewölbe des Bremer Doms, die das romanische Flachdach ersetzen und nur mit Hilfe umfangreicher mathematischer Vorarbeiten geleistet werden können. Die Renaissance habe das Mittelalter komplett aus ihrem Bewußtsein verdrängt und so die Spuren in die Vergangenheit verwischt.

Im „heißen “ Jahrhundert der Reformation schließt der Dom seine Pforten. Als er 1638 wieder geöffnet wird, hat sich die politische und religiöse Landschaft verändert. Reformatorische Nüchternheit sorgt dafür, daß das kostbare Interieur verschwindet. Die Wände werden mit einem blassen Kalkanstrich abgetönt und überdecken die bunten Wandverzierungen.

„Für jeden aufmerksamen Besucher des Domes wird der Weg von der frühromanischen Basilika zum gotischen Dom und zur spätgotischen Hallenkirche ein Weg durch die Geschichte. Auch die Umwandlung einer mittelalterlichen Kathedrale zu einer protestantischen Predigerkirche folgt einer inneren Gesetzmäßigkeit. Hinter ihr steht ein neues Verständnis von Gemeinde und Theologie. Trotz der architektonischen Asymee empfindet der Betrachter den Dom als Einheit.“

Der Domprediger wurde bei der Präsentation seines Buches gestern im Dom das Opfer seiner eigenen Eloquenz, als er sich dazu verstieg, von der sinnlichen Wahrnehmbarkeit der Geschichte beim Treppenaufgang von der Westkrypta in das Mittelschiff zu schwärmen. Man müsse seinen Körper für die Sinnlichkeit öffnen, erst dann könne man in der Kirche das tun, was Domprediger Abramzik für wichtig hält: Geistig atmen.

Trotz einiger kritischer Worte an die Adresse der eigenen Institution blieben bei Abramzik die Opfer der Christianisierung des Abendlandes im Dunkeln. mad

Günter Abramzik: Der St.-Petri-Dom in Bremen, mit Fotos von Jürgen Nogai, Verlag M. H. Hauschild GmbH, Bremen 1989, 24,-Mark