BADEWANNE STATT BAUCHSPEICHEL

■ „Die letzte Probe“ von den Herzschrittmachern auf dem Altentheaterfestival

„Bei einer Laienhopserei soll ich mitmachen?“ fragt Wilma Abendstern entsetzt, denn sie ist - trotz Arthrose - auch im „Bottich-Schneider-Altenstift“ nicht bereit, ihr früheres Leben als Schauspielerin an der Garderobe abzugeben. Ähnlich irritiert reagieren arthrosefreie Theatrosen der Stadt, wenn sie sich Laientheater, schlimmer, Randgruppenlaientheater reinziehen sollen. Allerdings arbeiten die Herzschrittmacher bereits seit fünf Jahren (und andere Altentheatergruppen sogar noch fünf Jahre länger) an der systematischen Untergrabung dieser engen Weltsicht, daß laienhaft mit dilettantisch und Alter mit Sozialstation verknüpft wird.

Genau darum muß „Die letzte Probe“ in einem Altenheim stattfinden. Wie in solchen Verwahranstaltungen üblich, ist in den „schönen hellen Zimmern“ schon ein Besucherstuhl unverschämter Luxus, was alt ist, hat ruhigzuhalten bis auf die Zeiten der Fütterung. Wilma Abendstern, die gealterte Theatreuse, hat sich trotzdem von ihrer als Pflegerin arbeitenden Schwester dorthin überreden lassen, weil sie aus dem Rollenfach als Liebhaberin, auf der Bühne und privat, rausgefallen ist. Während die Schwester routinierte menschenverachtende Pflege bei ihr anzuwenden beginnt, schmeißt Wilma regelmäßig die Krücken wieder zur Tür hinaus, noch glaubt sie an ein Gastspiel im Altenstift. Aber dann wird die „Laienhopserei“ doch zum Rettungsanker. Die heimeigene Laiengruppe ist zwar arg heruntergekommen, frönt dem Kaffee- und Kuchentratsch und diversen akuten Bauchspeicheldrüsenplazebos, soll es ans Theaterspielen gehen. Wilma inszeniert, was sie draußen nicht mehr darf: Das Peter-Weiß-Stück Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt von der Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade. Gegen massive Widerstände konservativer Mitspielerinnen („de Sade, der war doch abartig!“) wird das Altenheim durch den Altenheim-Marat in der Badewanne samt seiner Getreuen revolutioniert: Essenszeiten werden ignoriert, Bettlaken recyclet, die Heimleiterin abgelacht und mit den Weißschen Worten sich freigeschrien: „Wir sind zu Unrecht gefangen, wer sperrt uns ein...“

Im Off-Theater wäre das Stück spätestens an dieser Stelle im bemühten Sozialkitsch ersoffen. Die Alten dagegen sorgen für den trockenen Humor, stellen sich selbst (wie sie einmal waren?), heftchenlesend, affektiert, tratschend undsoweiter aus. Bei der Probe, die nicht die „letzte“ war, rutschte ihnen öfter mal die Szene und der Rollentext weg, dann gab's auf den Hinweis der jungen Regisseurin Tanja Ludwig eine kurze gegenseitige Schreierei, und die (Theater-)Welt war wieder in Ordnung. Die verzweigte Geschichte (vom Co -Regisseur Andreas Veiel nach improvisierten Charakterstudien entwickelt) hat einen offenen Schluß, bei dem der revolutionäre Glaube des Publikums getestet wird. Beim Altentheaterfestival wird allerdings nur der erste Teil aufgeführt, bevor das Stück Anfang Dezember im Spielraum offtheatererprobt wird. Hatte man schon der Recherche wegen Anstaltserfahrungen ausgerechnet im Wannseeheim für Jugendarbeit gesammelt, so wollen die 60-80jährigen jetzt testen, wie die Alten auf ihr neues Stück reagieren. „Horrorauftritt“ bei Bunten Nachmittagen im Altersheim aufgrund „überforderter Alter“ hat man auch schon erlebt.

Dorothee Hackenberg

„Die letzte Probe“ im Rahmen des 2. Altentheaterfestivals heute um 15 Uhr im Kulturhaus Spandau, Mauerstraße 6, U -Bahnstation Rathaus Spandau.