DER GÜTIGE SÄNGER

■ Konstantin Wecker im Quartier Latin

„Weckt er noch, oder geht er nur noch auf den Wecker?“ Die Frage hat sich im Grunde erledigt - „ganz schön wecker“ ist das Motto seiner diesjährigen Tournee, und das wissen wir ja schließlich alle, daß so was peinlich ist.

„Als Sohn einer Künstlerfamilie wurde Konstantin Amadeus Wecker 1947 geboren“ (Playboy-Report 'Die großen Liedermacher‘); lernte mit sechs Klavier, später kamen Geige und Gitarre dazu. Oft büxte er infolge von Trakl-Lektüre aus. „Um Dichter zu werden.“ Nach Augsburg oder Rom. Als 18jähriger raubte er mit einem Freund 30.000 Mark bei der Pferderennbahn in München-Riem, und machten sich beide drei schöne Wochen und kam er da für ein halbes Jahr in Knast. Und der Papa Alexander hat zu ihm gestanden, und der Papa Alexander sucht die Photos für die Bücher des 35jährigen aus, und die heißen „Eine ganze Menge Leben“ oder „Man muß den Flüssen trauen“, „Die Seele nach außen kehren“ usw. Vater kriegt deshalb auch ein Lied gewidmet („Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“). Mutter auch („Ich hab kein Talent zum Sterben“). Gottfried Benn auch. Oder die Geschwister Scholl: „Eure Schlichtheit, euer Mut, euer Gottvertrau'n“. Anfang der siebziger Jahre fährt er viel Auto, arbeitet „gespenstisch erfolgreich“ als Versicherungsvertreter, macht als „Nonkonformist“ Body Building und spielt in zwei Bayernsexfilmen von Alois Brummer. Später gefällt er sich in der Pose des ehemaligen Pornofilmdarstellers, „sexuell auslastend“ sei diese Zeit gewesen oder „Wecker, zurückdenkend: Ich war ein Vögler.“ (Playboy Report). Seine erste LP - 'die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker‘ wird ein Flop „peinlich pubertäre Vorzeige-Erotik von langweiliger Monotonie“ schreibt die Presse. 1977 erscheint 'Genug ist nicht genug‘ mit 'Willy‘ - „Westdeutschlands heimlichem Hit“ ('Spiegel‘) oder: „Das Willy-Lied; du glaubst gar nicht, was das bei mir und anderen bewirkt hat. Als ich das das erste Mal hörte, war ich richtig betroffen und erschüttert“ (Bernd Schroeder im Gespräch mit Konstantin Wecker). Eine Zeitlang ist er dann Star, macht Reisen, heiratet, zieht mit befreundeten Musikern in die Toskana, wandelt sich, gilt als musikalisch. '81 Höhepunkt seiner Karriere, vier Tage lang spielt er im ausverkauften Quartier Latin. Kokain, ein Sieg dahinzukommen, ein Sieg, es wieder abzusetzen. Ein Film bei Margarethe von Trotta, die ihn „männlich“ findet.

Danach ging's wohl bergab, Menschlichkeit und Harmony zwischen Kopf und Bauch waren nicht mehr so gefragt, und ein höhnischer 'Tagesspiegel‘ kommentierte die Weckersche Freigabe des Bauches zum Denken mit einem flotten „in letzter Zeit setzt er reichlich Denken an“. '85 sang er plötzlich in der DDR und '88 mit Joan Baez, und jetzt spielt er, solo, nur noch einmal, immerhin ausverkauft, vor letzten Berliner Freunden.

Er schwitzt, er gibt für gewöhnlich 18 Zugaben, und er schließt wirklich und ehrlich die Augen manches Mal bei manch sentimentalem Song. Er meint, was er sagt und singt. Die Sentimentals sind das beste bei ihm, denn kitschige Gefühle verlangen einen korrekt kitschigen Ausdruck. Der wird mit klassischen Versatzstücken untermalt, Tschaikovskys Klavierkonzert Nr. 1b moll in „Zwischenräume“ oder halt Wagner. Macht bloß so fürchterlich lasch mutlos, weil sich Kitsch eben immer nur auf das in der Vergangenheit Verpaßte bezieht, eigentlich auf ganz Vergangenes, also den Mutterschoß; so gern „ganz tief in dir drinnen sein“ oder „bin ganz traumlos / ganz in Dich gekrochen“. Was später als „ein Moment, der ohne Lüge war“, beschworen wird. Die totale Regression ist Ziel und damit hängt es wohl zusammen, daß ihn, wie seinen Fans, das, was draußen an Neuem, passiert herzlich egal ist. Weil sie immer „bei sich bleiben“ wollen, haben sie Angst davor: vor Surfen, Skifahren oder Altnazis. Und er singt „für alle, die nicht den Kopf einziehen“, „die mit den Ecken und Kanten, die von den Türstehern abgewiesen werden, die die Welt entwickeln und mich atmen lassen.“

Und das Publikum? Steht im Berufsleben, ist 25 aufwärts, artig. Sie sitzen und stehen nicht auf, sie haben Decken mitgebracht, einige tragen Gesundheitsschuhe, einige zieh'n sie aus, während andere die Augen schließen bei manch einem Lied. Man hat in sich etwas, daß man nicht so recht verwirklichen konnte, und das kommt dann manchmal so ein bißchen hoch, und man hofft, daß es seinen Ausdruck bei Wecker findet: „Nooach oamoi von voan oafanga“, ohne jemals angefangen zu haben. Im Beruf hat man immer ein bißchen das Gefühl, „sich selbst zu hintergeh'n“. „Bist müde / gräbst dich ein (...) / und das nennt sich dann Erwachsensein“, aber wollen doch: „Aufschreien“, sich „beschweren“ und sind stolz auf „diese kleine Glut / des Widerstands“. Einverständig mitgeklatscht wird bei Songs über Alte, Nazis usw., aber auch bei eher scherzhaften Weisen. Dies Mitgeklatsche hätte wohl auch den 'Willy‘ begleitet, den er dankenswerterweise nicht spielt. Genug ist genug.

Manchmal ist Wecker kurz davor, gut zu sein, hat die Chance, die Leute zu irritieren - hätte er doch wenigstens das Deutschlandlied gesungen, eben um die „Ewiggestrigen“ zu treffen. Nix. War auch nicht zu erwarten. Schon vor zehn Jahren glaubte er, seinem Lied vom „Frieden im Land“ eine Erklärung vorausschicken zu müssen, in der er sich ungefragt vom Terror distanziert. „Es gibt so viele Schliche / sich selbst zu hintergeh'n“. Am Ende, bei der fünften oder sechsten Zugabe, als einige besonders eifrige Fans sich gar erheben vor der Bühne, bleiben die auf den Sitzen sitzen und quäken nur: „Hinsetzen“. Vor ein paar Jahren verzögerte sich ein Konzertbeginn im Quartier, weil die Zuschauer Sitzplatzanspruch reklamierten, der Künstler kümmerte sich darum, und die, die keinen Sitz gekriegt hatten, kriegten ihr Geld zurück.

„Genug ist nicht genug“: die Zuschauer sind sogar zu schüchtern oder zu höflich, von Konstantin Wecker, mehr als sechs Zugaben zu verlangen. Weil der so schweißgebadet ist oder so ein nettes Bubenwinken zeigt. Er hätte weitergemacht.

Detlef Kuhlbrodt