Der Zuschauer findet den Film nicht

■ Ein Gespräch mit dem Filmemacher Hans W. Geissendörfer, nicht nur über seinen neuen Film „Bumerang Bumerang“

Jens Hinricher

Inzwischen kennt man ihn fast nur noch als Vater der Lindenstraße; mit seinem neuen Film Bumerang Bumerang (Drehbuch: Irene Fischer, Dorothee Schön) kehrt er nach langer Abwesenheit auch ins Kino zurück. Die Rede ist von Hans W. Geissendörfer, der sich Ende der sechziger Jahre und Anfang der Siebziger mit eigentümlichen Genre -Übungen wie dem Horrorfilm Jonathan einen Namen gemacht hatte. Nach seinen umstrittenen Literatur-Adaptionen, dem Zauberberg (nach Thomas Mann), der Gläsernen Zelle und Ediths Tagebuch (beide nach Patricia Highsmith), gelang ihm Mitte der Achtziger entgegen allen Erwartungen mit den Endlos-Geschichten von infizierten Sympathen, ehebrecherischen Papis und frustrierten Muster-Mamis aus der Mittelschichtsstraße der Einschaltquoten-Hit im Vorabendprogramm - und der Großteil der Kritik, die ihn nie sonderlich mochte, erklärte ihn vollends zum künstlerischen Versager. Doch das stört den Filmemacher, der seine No-Nukes -Comedy Bumerang Bumerang gegen Batman antreten läßt, offenbar wenig.

Herr Geissendörfer, in Ihrem neuen Film wird ein Politiker namens Reindl, der sich für den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf einsetzt, von drei Kids (Evi, Pit und Bond) kurz vor der Wahl entführt. Der Plan, ihn zum Umdenken zu bewegen, scheitert, und die Entführung bewirkt zunächst, daß dieser Politiker die Wahl gewinnt. Hat Sie der Baustopp von Wackersdorf befürchten lassen, daß der Film an Relevanz verliert?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe befürchtet, daß sich vielleicht ein Teil der Leute, die nicht wollen, daß der Film gesehen wird, da dranhängen und sagen: „Was soll denn der Film, der kommt ja viel zu spät, Wackersdorf ist ja längst gestoppt!“ Aber jeder, der das tut, würde eben dem Thema des Films entsprechend handeln. Er würde auf die Verlogenheit der Politiker hereinfallen. Im Film dreht es sich ja nicht um Wackersdorf als tatsächlichen Handlungsort, sondern Wackersdorf ist ein Ort, der symbolisch für Nuklearpolitik steht - und die hat sich ja überhaupt nicht verändert seit der Stillegung. Man kann seitdem unter dem Tisch in aller Ruhe seine nuklearen Geschäfte weiterbetreiben.

Was mich an „Bumerang Bumerang“ überrascht hat, sind die für einen deutschen Film mit ernstem Thema ungewöhnlichen komischen Elemente. Würden Sie sich dagegen wehren, den Film als Komödie zu bezeichnen?

Solange man nicht das Attribut typisch deutsche Komödie dazusetzt, wäre ich sogar sehr stolz, wenn man Comedy sagt. Der Film hat sicher nichts mit Gottschalk, Supernasen oder Otto zu tun. Für mich war es eine Herausforderung, das Publikum zum Lachen zu bringen, weil ich das bisher nicht versucht und mir das auch gar nicht zugetraut habe; ich hatte sehr viel Angst davor.

Zwischen „Ediths Tagebuch“ und ihrem neuen Film liegen viele Jahre TV-Arbeit an der „Lindenstraße“. Ist der Film von der „Lindenstraße“ beeinflußt?

Sicher! Vor allem ist die Erfahrung dazugekommen, daß Fernsehen und Kino zwei völlig verschiedene Stiefel sind. Lindenstraße ist radikales Fernsehen (Hört, hört! d.S.); sie ist von der Organisationsform her total anders als Kino. Die Erfahrungen aus Lindenstraße, der Umgang mit Menschen, mit denen man jeden Tag produziert, mit dem Kameramann, mit dem man jeden Tag Bilder besprechen, die Lichtsituation klären muß, bewirkt, daß man die Angst vor der Technik verliert und Routine im positiven Sinne kriegt. Außerdem hat Lindenstraße den wesentlichen Vorteil, daß sie Freiheit für den Produzenten Geissendörfer bringt, weil er nicht mehr darauf angewiesen ist, auf die Gnade der Förderungsgremien zu warten; mit so einem Film wie Bumerang Bumerang könnte man warten, bis man grau und eisig wird. Wir haben natürlich die Gremien bemüht und von allen eine Absage bekommen. Aus verständlichen Gründen. Die Gremien in der FFA (Filmförderungsanstalt) und im Bundesinnenministerium wollen natürlich einem Film, der sich irgendwo gegen die Ordnungsprinzipien dieses Landes richtet, nicht unbedingt auf die Leinwand helfen.

Glauben Sie, daß es solche Jugendlichen gibt wie Evi und Pit im Film? Leute, die nach ihrem Gefühl handeln, so zum politischen Widerstand gelangen und eine Menge Energie da reinstecken?

Erstens glaube ich nicht an die Klischees, die über diese Generation, die jungen Leute von heute, verbreitet werden; die sind genauso falsch wie die Klischees, die über uns verbreitet wurden, über die sogenannten 68er. Die Leute, die wir während der Recherchen für den Film kennengelernt haben, sind Kids, die nicht soviel reden wie wir das damals gemacht haben und die sich nicht so intensiv und schwerblütig mit ungeheurer akademischer Genauigkeit in die Literatur über den Kapitalismus und über den Sinn der Welt hineinstürzen. Das sind Leute, die praktisch denken und vor allem handeln. Die Evi im Film hat überhaupt kein politisches Konzept; sie klaut den Typen ja nicht, weil sie nun ein Programm verfolgt, sondern sie tut es als 16jährige, die in einen Chaoten verliebt ist, den sie nicht kriegt und der permanent im Symbolort Wackersdorf Wache schiebt, um zu verhindern, daß das gebaut wird.

Später ist Evi dann konsequent: Nun haben wir den Typen schon mal, nun soll er uns auch zuhören - und das ist der Schlüsselsatz des Films.

Bond (Jan Plewka), der 007-Verehrer, sieht so ziemlich aus wie das perfekte Gegenteil seines Idols: bebrillt, sanft, gehemmt und nicht so tatkräftig wie Pit. Trotzdem ist er die entscheidende Kraft, die Reindls Plan, aus der Entführung Nutzen für die politische Karriere zu ziehen, vereitelt. Gehört er zu der neuen Art Helden, denen man im Film immer häufiger begegnet: der Entlarver mit einer Kamera in der Hand wie in „Max Headroom“ oder wie Robert Redford als Reporter in Pakulas Watergate-Film?

Der Bond hat am meisten Vorbilder im Kino. Er ist nicht nur derjenige, der James Bond anhimmelt, sondern er ist der Looser, der über seine eigenen Beine stolpert, mit dem man so ein bißchen liebevolles Mitleid hat. Man mag ihn, aber viel macht er nicht her. Ich finde es aufregend, wenn man diesem oberflächlich schwächlich erscheinenden Typ die Chance gibt, letztlich durch seinen Kopf der Retter und tatsächliche Held zu sein. Bond ist sicherlich die größte Kunstfigur im Film, weil er eine dramaturgisch entwickelte Figur ist, die aus der Theorie sachkundiger Autoren entstanden ist.

Sie können natürlich hergehen und sagen: die Evi ist die Emotion, der Pit ist die Action und der Bond ist der Intellekt. (Na, dann ist ja - GOTT sei Dank! - alles beim Alten. Nur keine Aufweichung der Geschlechterrollen! d.S.) Politische Veränderung ist nur möglich, wenn alle drei Dinge zusammenkommen. Allein durch Action - das wären die Spontis oder so - kriegen sie nichts auf die Reihe; allein durch Emotionen - das wären die Mütter, die in Brasilien schreien „Gebt uns unsere Kinder wieder“ - geht auch nichts und allein mit dem Intellekt fehlt ihnen das Volk. Die drei Figuren sind, wenn sie so wollen, die Inkarnation dieser Schlagwörter.

Wünschen Sie sich für „Bumerang Bumerang“ so ein Massenpublikum, wie es die „Lindenstraße“ hat?

Ich habe immer Filme machen wollen, die für ein großes Publikum verstehbar sind. Ich habe alle Genres ausprobiert und dabei Fehler gemacht...

Zum Beispiel „Carlos“, der Western nach Friedrich Schiller...

Wir haben von Anfang an ein richtiges Programm gemacht, vom Heimatfilm Lena Christ über den Horrorfilm Jonathan, eine Parabel der 60er Jahre (die Mächtigen als Vampire und die APO im Schlamm und alles war ganz furchtbar). Jonathan ist übrigens einer der ganz wenigen deutschen Kinofilme, die noch nie im Fernsehen gelaufen sind. Wahrscheinlich hält man ihn für nicht zumutbar - es wird da so eine Blasphemie vermutet, weil der Obervampir eine Christuswunde an der linken Seite hat, wo die kleinen Vampire alle ihr Blut draus trinken und dann sinds auch teilweise noch Mädchen... Dann kam Carlos, sicherlich nicht ein sehr guter Film; da haben wir halt den Schiller zum Western gemacht, weil man in diesem Land sonst kein Geld für einen Western kriegt. Dann kam der Krimi Eine Rose für Jane, dann ein kleines Melodram und so weiter. Es macht Spaß, mit den Leinwandtopoi zu spielen.

Wer, glauben Sie, wird sich am 26. Oktober nicht „Batman“, sondern „Bumerang Bumerang“ ansehen?

(lacht) Erst einmal die, die für Batman keine Karte gekriegt haben; nebenan läuft dann Bumerang Bumerang.

Es ist unheimlich frustrierend, was sehr vielen guten deutschen Filmen passiert. Sie können aufgrund der miserablen Vertriebssituation, die eben nicht mit der Power von Amerika daherkommt, oft den Zuschauer gar nicht finden. Besser gesagt, der Zuschauer findet die Filme nicht. Er liest zwar mal irgendwo etwas davon, möchte den Film sehen, schaut in seine Zeitung und stellt fest, daß der schon wieder abgesetzt ist oder erst gar nicht kommt. Das ist eine gräßliche Situation, dagegen muß man etwas tun. Wenn man überhaupt von Erneuerung von Förderung redet, dann müßte man bis zu 70 oder 80 Prozent der Gesamtförderung aus dem Produktionsbereich in den Vertriebsbereich rüberschieben, um bessere Bedingungen zu schaffen. Es nützt ja nichts, wenn sie 60 Filme im Jahr produzieren und davon kommen vielleicht zehn Filme ins Kino, auf Kleinverleih mit fünf Kopien. Der Zuschauer hat das Nachsehen und der Macher gilt dann als Flop-Hersteller.

Es liegt doch nicht nur an fehlender Promotion. Ist diese miserable Situation nicht auch dadurch entstanden, daß jahrelang Filme gefördert und produziert wurden, die anders als in Italien und Frankreich etwa - am großen Publikum vorbeizielten?

Daß man jetzt versucht, Herrn und Frau Einschaltquote auch im Kino, in der Förderungspolitik zu berücksichtigen, ist natürlich logisch aufgrund der schlechten Zahlenergebnisse der letzten Jahre. Die Kinobesitzer in den Gremien - in der FFA sitzen ja auch Vertreter der Kinobesitzer - sagen natürlich, wir wollen Filme, die bei uns Kasse machen. Ist ja zu verstehen. Nur müssen gleichzeitig bedächtigere oder auch innovativere Filme ihre Chance haben. Männer wurde ein Renner, geplant hat das keiner.

Jeder amerikanische Film hat bessere Startchancen, schon allein deshalb, weil dem Zuschauer das Bedürfnis eingehämmert wird, daß er diesen Film sehen muß. Wenn dann ein Film auch noch im Kino gehalten wird, weil der Verleih sagen kann: „Den könnt ihr noch nicht absetzen, ihr müßt ihn noch eine Wochen spielen, sonst bekommt ihr in 17 Wochen nicht Batman oder Indiana Jones, dann läßt der Kinobesitzer ihn drin. Beim deutschen Film dagegen ruft er schon am Sonntag an, weil er Donnerstag, Freitag und Samstag schlecht gelaufen ist und nimmt ihn raus. Und er kümmert sich einen Scheiß drum, ob im Vertrag steht, daß er den Film vier Wochen zu spielen hat. Die kleinen Verleiher können dagegen gar nichts machen, die müßten im Jahr 500 Prozesse führen. Nötig ist hier ein völlig andere Politik. Ich habe dafür eine Menge Modelle im Kopf, wie sie teilweise in Amerika praktiziert werden. Dort mietet beispielsweise der Verleiher, oder auch der Produzent in Gemeinschaft mit dem Verleiher, das Kino für soundso viele Wochen, egal, ob der Film gut oder schlecht läuft. Er nimmt dem Kinobesitzer das Risiko ab. Der Kinobesitzer bekommt einen Durchschnittsindexpreis und ist erst einmal aus dem Schneider.

Sie lesen als Produzent sehr viele Drehbücher junger Autoren. Haben Sie den Eindruck, daß die Ausbildungssituation für Filmschaffende in Deutschland verbessert werden muß?

Wenn ich nicht diesen Eindruck hätte, würde ich mich nicht so energisch um den Aufbau einer Kunsthochschule für Medien in Nordrhein-Westfalen kümmern. Es gibt vor allem noch viel zu wenig branchenbezogene Ausbildungsmöglichkeiten. Die Leute für all diese Jobs bei uns, ob sie nun den Drehbuchautor nehmen oder den Produktionsleiter, den Filmvertriebsleiter und Herstellungsleiter, kommen alle aus einer Fremdbranche und lernen es dann durch die Arbeit. In Hinsicht auf das Drehbuchschreiben wird sehr viel getan; es gibt Seminare, das Handwerk des Drehbuchschreibers ist erlernbar.

Was aber das wichtigste ist, ist die Motivation, für den Film zu schreiben. Bei uns ist es doch so: In Deutschland sind die Autoren von Filmen weitgehend anonym; es sind immer die Schauspieler und Regisseure, die in der Credit Line vorne stehen. Wenn ein Autor wirklich „berühmt“ werden will, ist er besser beraten, einen Roman zu schreiben. In England und Amerika stehen die Autoren an der Spitze der Credit Line. Ist ja auch ganz klar; eine gute Geschichte ist das Wichtigste für einen Film.

Was ich bei den Drehbüchern feststelle, ist, daß sie sich immer mehr gleichen. Es fehlen die Visionen, es fehlt das mutige Buch. Es wird zwar immer konstruiert - die Leute analysieren die amerikanischen Filme und haben durch Seminare bestimmte handwerkliche Kniffe drauf, aber filmisch ist es oft schlichter Blödsinn, den man als Hörspiel senden könnte oder als Theaterstück. Gehen Sie in einen deutschen Film, machen Sie die Augen zu und Sie haben den Film hinterher verstanden. Gute Filme können Sie mit verstopften Ohren voll und ganz kapieren, zumindest in den großen Bewegungen und Emotionen.

Sie leben häufig in England. Reagiert das deutsche Fernsehen im Vergleich zum englischen nicht wesentlich langsamer und vorsichtiger auf politische und gesellschaftliche Ereignisse?

Bei der Fernsehserie und beim Fernsehspiel geht es hier nicht viel langsamer zu wie bei den Engländern oder den Amerikanern. Es ist aber eine vorsichtigere Haltung da. In der Dokumentation, in der Talk-Show und in der Satiresendung sind die Engländer selbstverständlich ungeheuer gut und schnell. Vor allem haben sie wesentlich tolerantere Politiker und Gesetze. Ich kann mich nicht erinnern - und ich bin seit zwölf Jahren mit einer Engländerin verheiratet

-, irgendwann einmal in der Zeitung gelesen zu haben, daß sich ein Politiker über eine Fernsehsendung, die ihn karikiert und beleidigt hat, öffentlich beschwert hätte. Wenn Herr Gauweiler in der Lindenstraße mal als Faschist bezeichnet wird, dann hockt die Schauspielerin - wohlgemerkt die Schauspielerin, die Redaktion natürlich auch - noch heute vor dem Staatsanwalt. Das ist alles ganz furchtbar, und ein Grund, möglichst viele Sätze in der Lindenstraße unterzubringen.

Werden Sie neben der „Lindenstraße“ in näherer Zukunft noch weitere Filme machen?

Wenn das Publikum uns will und die Allgewaltigen der ARD das erlauben, würde ich gerne mit der Lindenstraße weitermachen; solange eine ausreichende Freiheit des Erzählens gewährleistet ist. Für nächstes Jahr habe ich zwei Kinofilme geplant; man muß immer zwei planen, damit einer was wird. Der eine ist eine Geschichte über eine 17jährige Hure in Theresienstadt, die mit deutschen Offizieren schläft; den Film schreibe ich für Katja Studt, die davon aber noch nichts weiß. Sie wird zur Produktionszeit genau 17 sein. Der andere istJustiz von Dürrenmatt; das ist, wenn man will, hochgestochene Literatur. Für das Fernsehen haben wir Das Abenteuer Antarktis geplant, in Co -Produktion mit dem englischen Fernsehen. Es geht darum, was mit der Antarktis geschieht in Hinsicht auf Ausbeutung, Umweltschädigung; was es gibt an geheimen militärischen Spekulationen. Ein Abenteuerfilm. Eine spannende aber leider Gottes auch sehr kostenintensive Produktion.