Guatemala - Drogenzentrum von morgen

Trotz chemischen Vernichtungsfeldzugs hat sich in dem mittelamerikanischen Land der Mohnanbau verdoppelt / USA stellen Sprühmaschinen und Piloten / Bei drei Ernten werden jährlich 72 Tonnen Opiumharz gewonnen / Fast alle Drogen werden exportiert / Kokainverbindungen reichen in Regierungskreise hinein  ■  Von Ralf Leonhard

Guatemala-Stadt (taz) - Der Pilot zieht zuerst knatternd eine Schleife, um die Kühe von der Landebahn zu verscheuchen. Dann setzt er auf der Flugpiste des Provinzstädtchens Huehuetenango auf. Ein Hubschrauber des US State Department wartet schon - einer der offenen Huey -Helikopter, wie man sie aus den Vietnam-Filmen kennt. Die Vorrichtung, an der traditionell das MG angebracht wird, dient als Fußstütze. Der zweite Hubschrauber ist mit schweren Waffen ausgerüstet und mit Agenten der Zollpolizei bemannt. Nach zehn Flugminuten schwenken wir in ein zerklüftetes Tal ein, wo die Besiedlung immer dünner wird. Die Kleinbauern - mehrheitlich indianisch, wie an der Kleidung zu erkennen ist, stürzen aus ihren Hütten, um zu sehen, wo das unheimliche Geknatter herkommt. Noch vor wenigen Jahren hätten sie sich sofort im Wald versteckt, denn die Ankunft von Hubschraubern bedeutete Tod und Vernichtung. Armee-Einsätze im Hochland endeten mit Massakern, weil die Zivilbevölkerung der Zusammenarbeit mit der Guerilla verdächtigt wurde.

Diesmal bringen die Helikopter nur Gift und Vernichtung für die Mohnfelder und die umliegenden Äcker. Die beiden Stahlvögel sollen zwei kleinen Turbo-Flugzeugen Deckung geben, die das potente Herbizid Glyphosphat auf die verbotenen Früchte sprühen. Die blauen Kleinflugzeuge sehen aus wie gewöhnliche Sprühmaschinen, sogenannte crop-dusters, wie sie in den USA zur Aussaat und zum Auftragen von Unkrautvernichtungsmitteln auf den riesigen Weizenfeldern verwendet werden.

Gift für die Mohnfelder

Wir überfliegen das Städtchen Cuilco; die letzte größere Niederlassung vor der mexikanischen Grenze. Es geht über eine steile Gebirgskette, die eine natürliche Schranke bildet - effektiver als die weiter westlich gelegene Grenzlinie. Kurz darauf kreisen die Sprühflugzeuge 325 Straßenkilometer westlich der Hauptstadt. Der Rotor bläst die eisige Hochlandluft in die offene Kabine hinein. „Es geht los“, meldet einer der Piloten über Funk. Die Turbo -Thrush-Maschine zieht eine Schleife, taucht dann einen Steilhang hinunter und hinterläßt eine weiße Wolke, die noch minutenlang über dem kleinen Acker wabert. Ein ungeübtes Auge würde die winzigen Mohnfelder aus normaler Flughöhe nie ausmachen. Doch die Piloten wissen, wo sie suchen müssen. „Wir haben natürlich Informationen von der Zollpolizei der Umgebung“, erklärt ein Vertreter der Drogenabteilung des State Department an der US-Botschaft in Guatemala.

Die Bauern wissen offensichtlich, daß der Mohnanbau illegal ist, denn anders als der Mais, der in unmittelbarer Nähe der wenigen Hütten steht, liegen die Mohnfelder abseits. Es eilt auch keiner herbei, um seine Ernte zu verteidigen. Letztes Jahr mußten die Spritzflüge für neun Monate unterbrochen werden, weil die Sprühmaschinen mehrmals beschossen und beschädigt wurden. Seit August 1989 wird wieder gesprüht allerdings jetzt abgesichert durch die Hubschraubereskorte.

Trotz des chemischen Vernichtungsfeldzuges hat sich die Mohnanbaufläche seit dem letzten Jahr mehr als verdoppelt. Für die Subsistenzbauern, fernab von Transportwegen und vom Zugriff der Staatsgewalt, ist die Gewinnung des Opiumgrundstoffs ein verlockendes Geschäft, das mit relativ geringem Risiko verbunden ist. Saatgut und Anweisungen bekommen sie von mexikanischen Zwischenhändlern, die dann wieder auftauchen, wenn die milchige Flüssigkeit geerntet und durch Trocknen in Opiumharz verwandelt wurde. Die Zone im äußersten Süden des Departements Huehuetenengo und im Norden des benachbarten San Marcos, die sich wegen ihres rauhen Klimas wie kaum eine andere für den Anbau eignet, ist von der mexikanischen Seite leichter zugänglich als von Guatemala. „Die Mexikaner auf der anderen Seite haben uns die neue Kulturpflanze gebracht, aber inzwischen können sie von uns etwas lernen“, erzählt Alejandro Roblero, der Bürgermeister von Cuilco, stolz. Als die mexikanische Regierung im Bundesstaat Sinaloa mit der Mohnvernichtung ernst machte, begannen die Opiumbauern, ihre Anbauflächen ins Nachbarland zu verlegen. Die Drogenexperten an der US -Botschaft schätzen die Anbaufläche insgesamt auf 1.800 Hektar. Bei drei Ernten jährlich können darauf 72 Tonnen Opiumharz gewonnen werden. Das ergibt reines Heroin für sechs bis 15 Milliarden US-Dollar auf dem Markt in New York.

USA stellten Sprühflugzeuge und die Piloten

Der Regierung Cerezo haben die USA schon 1986 ihre Unterstützung bei der Drogenbekämpfung angetragen. Das State Department stellt die Sprühmaschinen und die Piloten, das Pflanzengift und den Treibstoff. Gelegentlich greift auch die Zollpolizei selber ein und hilft mit Handspritzungen. Doch die Einsätze in den unzugänglichen Gebieten sind beschwerlich und gefahrvoll. Im Januar des Vorjahres sind sechs Männer dabei ermordet worden. Gerüchte, daß die Guerilla dahintersteckt, die den Drogenbauern Schutz gewähren soll, konnten nie bestätigt werden. Dennoch betonen die Leute von der US-Drogenbehörde DEA (Drug Enforcement Agency) mit besonderem Nachdruck, daß die Anbaugebiete sich teilweise mit den traditionellen Operationsgebieten der Guerillaorganisation Orpa decken.

Drogenmißbrauch ist in Guatemala bisher kaum ein Problem. Jugendliche aus der Schickeria ziehen sich auf ihren eleganten Parties zwar gelegentlich etwas Koks in die Nase, aber Heroinkonsum ist praktisch unbekannt. Im allgemeinen macht den Guatemalteken der Alkoholismus weit mehr zu schaffen als die Rauschmittel.

Anders als der Mohnanbau, der für Guatemala noch relativ neu ist und vor drei Jahren noch kaum jemanden beunruhigte, hat Marihuana, das vor allem an der Karibikküste gern geraucht wird, eine rund 20jährige Tradition. Das süße Gras gedeiht vor allem im Tropenwald des Peten, im Nordosten des Landes. Das dichtbewaldete und dünnbesiedelte Gebiet eignet sich hervorragend für den Anbau der Hanfpflanzen. Es ist ein gesetzloser Landstrich, fernab der staatlichen Kontrolle, wo seit zwei Jahrzehnten allein die Militärs den Ton angeben, und Edelhölzer, Rinder und wertvolle Funde aus den unzähligen Maya-Stätten ständig illegal über die Grenze geschafft werden.

Ein unausgesetzter Strom an Zuwanderern aus anderen Landesteilen bedroht das ökologische Gleichgewicht und die prekäre wirtschaftliche Infrastruktur des Regenwaldgebietes. Viele der neuen Siedler lassen sich schnell überreden, statt der traditionellen Grundnahrungsmittel Mais und Bohnen den profitableren Cannabis zu pflanzen. Auch hier, im letzten großen Regenwaldgebiet Zentralamerikas, sind es vor allem die Grenzzonen, die zu wahren Drogenparadiesen geworden sind. Als die Cannabis-Bauern im Nachbarland Belize ihre Ernten durch die Spritzaktionen der USA vernichtet fanden, begannen sie kurzerhand, ihre Felder auf die andere Seite der Grenze zu verlagern oder Bauern auf der guatemaltekischen Seite anzuwerben. Im riesigen Peten -Gebiet, das von wenigen ganzjährig befahrbaren Straßen durchzogen wird, waren sie vor Belästigungen relativ sicher. In diesem Jahr haben allerdings die Drogenexperten der US -Botschaft auch im Peten alle bekannten Flächen mit Gift eingenebelt.

Drogenbauern sind besser bewaffnet als die Polizei

Den Marihuanaanbau haben sie damit sicher nicht völlig ausrotten können, denn viele Felder sind aus der Luft gar nicht zugänglich, weil sie unter dem Schutz des dichten Waldes gedeihen. Die Zollpolizei wagt sich kaum vor in diese abgelegenen Regionen, zumal die Drogenbauern besser bewaffnet sind als die 72 Polizisten, die eine 800 Kilomter lange Grenze zu überwachen haben.

All das beunruhigt die Regierung und die Drogenexperten aus den USA jedoch nicht so sehr wie die zunehmende Einbindung Guatemalas in den internationalen Drogenhandel. Die Verbindungen zu den berüchtigten kolumbianischen Kokainkartellen laufen über die Hauptstadt und die riesigen Farmen im hochentwickelten Süden des Landes, der fruchtbaren Pazifikebene. Mitte Juli wurden an Bord einer verlassenen Propellermaschine 54 Kilo reinen Kokains im Wert von rund 27 Millionen US-Dollar gefunden. Die Maschine war bei einer Zwischenlandung auf der Finca Ixcan in der Südprovinz Retalhuleu im Schlamm steckengeblieben. Da derartige Kleinflugzeuge erfahrungsgemäß 500 Kilo transportieren, vermuten die Behörden, daß sich die Besatzung mit fast 450 Kilo Koks davongemacht hat. Augenzeugen wollen gesehen haben, daß die fünf Insassen grüne Säcke aus dem Laderaum bargen. Die Spuren der zweimotorigen Maschine konnten über Costa Rica, Panama und Ecuador bis zum Flughafen von Bogota zurückverfolgt werden.

200.000 Kilogramm Kokain durchs Land geschleust

Laut einem Bericht der DEA machen monatlich mindestens 1.000 Kilogramm Kokain Zwischenstopp in Guatemala. Der ehemalige Innenminister Juan Jose Rodil schätzt sogar, daß hier jedes Jahr 200.000 Kilo Kokain auf dem Weg in die USA Station machen. Die Tendenz ist jedenfalls steigend. Nach Berichten der Sicherheitskräfte sind allein im ersten Halbjahr 1989 neben rund 25 Tonnen Marihuana nicht weniger als 1.206 Kilo Kokain im Wert von 200 Millionen US-Dollar beschlagnahmt worden. Den größten Coup landete die Zollpolizei Ende Juni, als sie in der Nähe der Provinzstadt Antigua 856 Kilogramm Koks im Inneren eines Tankwagens sicherstellte. Wenige Wochen später ging der Küstenwache eine aus Kolumbien kommende Jacht mit 788 Kilogramm ins Netz. Zwei Besatzungsmitglieder US-amerikanischer Staatsbürgerschaft wanderten hinter Gitter.

All diese Fänge scheinen jedoch Zufallstreffer zu sein oder beruhen auf Denunziationen. Juan Jose Rodil wundert das gar nicht: „Solange bestochene Zollbeamte jährlich 25.000 Containerwagen ungeöffnet passieren lassen, wird sich da nichts ändern.“ Der einzige Ort, wo die guatemaltekischen Behörden wirklich systematisch nach der verbotenen Fracht Ausschau halten, ist der Flughafen von Guatemala-Stadt. Dort entdecken sie regelmäßig Gepäckstücke mit ein paar Kilo Kokain, die häufig von den Eigentümern nicht reklamiert werden. Wenn jemand festgenommen wird, dann handelt es sich um einfache Mittelsmänner, die zu vier bis fünf Jahren Haft verurteilt werden und sich bald freikaufen können. Die Drahtzieher im Hintergrund sind bisher unbekannt geblieben.

Der schnelle Aufstieg

der Gerichtssekretärin

1986 wurde im Karibikhafen Puerto Barrios die Jacht Darcy mit reinstem Kokain im Handelswert von 500 Millionen Dollar an Bord entdeckt. Die heiße Ware wurde zunächst in einem Depot des Obersten Gerichtshofs in der Hauptstadt zwischengelagert, wo sie auf ihre feierliche Vernichtung wartete. Als der „Schnee“ schließlich verbrannt werden sollte, entdeckten Experten, daß das weiße Pulver mit anderen Substanzen vermischt worden war. Wie sich herausstellte, hatte die Gerichtssekretärin Ana Isabel Prera die Verschiebung der beschlagnahmten Ware in ihr Büro angeordnet. Alfonso Branas, der Präsident des Obersten Gerichtshofes, ordnete eine Untersuchung an, wurde aber wenige Monate später von unbekannten Tätern ermordet. Ana Isabel Prera ist inzwischen Kulturministerin geworden. Daß hinter der steilen Karriere Beziehungen stecken, ist offenkundig: Vor wenigen Wochen hat die Ministerin den Generalsekretär der regierenden Christdemokraten, Alfonso Cabrera, geehelicht. Cabrera, der aussichtsreichste Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im November 1990, steht selbst unter dem - nie bestätigten - Verdacht, seine Hände im Drogenhandel zu haben.

Der 45jährige Alfonso Cabrera, Schützling von Präsident Cerezo, sah sich bemüßigt, die amerikanische Drogenbehörde DEA um eine Untersuchung zu bitten. Sein Name sollte vor Beginn der Wahlkampagne reingewaschen werden. Denn allzu viele Fährten führen in seine unmittelbare Umgebung. 1984 wurde Cabreras Bruder Vinicio mit zehn Kilo Kokain in Miami festgenommen. Da er damals mit der DEA kooperierte, konnte er eine relativ geringe Freiheitsstrafe aushandeln, die er längst abgesessen hat. Ein weiterer Bruder, Carlos Cabrera, wird mit einem Kokainpaket in Verbindung gebracht, das im vergangenen Juni auf dem Flughafen ankam. Er war damals in Begleitung des 33jährigen Eric Ralda, der zwei aus Panama kommende Koffer mit 54 Kilo Kokain abholte und dabei festgenommen wurde. Er sagte später aus, daß Carlos Cabrera ihm die entsprechenden Gepäcktickets ausgehändigt habe. Eine von Präsident Cerezo angeordnete Untersuchung wurde nach wenigen Tagen „auf höheren Befehl“ eingestellt und Eric Ralda auf freien Fuß gesetzt.

Kokain-Connection reichen in die Nähe des Präsidenten

Die USA, die den Drogenhandel als größte Geißel der Menschheit entdeckt haben, seit sich der Kommunismus und Gorbatschows Sowjetunion nicht mehr als Inbegriff des Antichristen eignen, sind keineswegs glücklich über die Nominierung Cabreras für die kommenden Wahlen. Offiziell gibt es zwar keine Beweise für seine Verwicklung in den Drogenhandel, doch habe ihn die DEA auch nicht reingewaschen, erklärt ein Sprecher der Botschaft: „Das Ausstellen von Unbedenklichkeitsbescheinigungen gehört nicht zu ihren Aufgaben.“ Obwohl die US-Botschaft den guatemaltekischen Behörden befriedigende Zusammenarbeit in Sachen Drogenbekämpfung bescheinigt, reichen die Kokainverbindungen bis in gefährliche Nähe des Präsidenten.

Im August wurde ein Angestellter der Verwaltungskontrollabteilung des Präsidialamtes mit 22 Kilogramm Kokain am Flughafen ertappt. Der Chef dieses Büros, das über die Moral im Verwaltungsapparat des Präsidenten zu wachen hat, Oberstleutnant Hugo Moran, wurde kurz darauf vom Dienst suspendiert. Der Offizier sollte nach dem Skandal auf ein Stipendium an eine Militärschule in den USA abgeschoben werden, doch das Konsulat strich ihm im letzten Moment das Visum.

Alles deutet darauf hin, daß der Drogenhandel für Guatemala zu einem zentralen Problem werden kann. Pessimisten ziehen sogar Vergleiche mit Kolumbien, wo die Drogenbosse die Zivilregierung nach Belieben manipulieren können. „Guatemala hat Eigenschaften, die mit Kolumbien vor 40 Jahren verglichen werden können“, erklärte ein DEA-Beamter in einem in Guatemala veröffentlichten Interview: „eine Landbevölkerung mit schlechten Beziehungen zur Zentralregierung, eine Guerilla, eine Tradition der Gewalt, eine schwach entwickelte Polizei und eine Armee, die mit anderen Dingen beschäftigt ist.“