: Ausländerhaß vor Berliner Gericht
Verhandlung gegen Berliner wegen Tötung eines Türken / Motiv Ausländerhaß vor Gericht umstritten ■ Aus Berlin Plutonia Plarre
Vor der 29. Strafkammer des Berliner Landgerichts begann gestern der Prozeß gegen den 29jährigen Rampenarbeiter Andreas Sch., der im Mai dieses Jahres den 24jährigen Türken Ufuk Sahin durch einen Stich mit einem Messer in die linke Leistengegend tödlich verletzt hatte. Der Tod des Türken, der wenige Schritte vor seiner Haustür in der Betontrabantenstadt „Märkisches Viertel“ verblutet war, hatte seinerzeit viele Einwohner Berlins aufgerüttelt, er wurde als deutliches Zeichen für die Folgen von ausländerfeindlicher Gesinnung gewertet.
Bezugnehmend auf diese Debatte verwahrte sich die Vorsitzende Richterin Eschenhagen gestern gleich zu Beginn des Prozesses gegen jegliche „Emotionalisierung“ des Verfahrens und verwies darauf, daß die Akten keinerlei Anhaltspunkte für ein ausländerfeindliches Tatmotiv ergeben hätten. Diese Auffassung bezeichnete Rechtsanwalt Wieland, der die Angehörigen des Getöteten vertritt, als „starkes Stück“. Schließlich gehe aus den Akten hervor, daß der Angeklagte gegenüber seinen Nachbarn gesagte habe, er „hasse“ Ausländer.
Andreas Sch. ist wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß er sich am Abend des 12.Mai mit seiner Verlobten Sabine L. auf dem Heimweg befand Fortsetzung auf Seite 2
und dabei mit dem Türken Ufuk Sahin und dessen Landsmann Murat P. in eine verbale Auseinandersetzung geraten war. In deren Verlauf habe er plötzlich mit einem Taschenmesser auf Ufuk Sahin eingestochen. Andreas Sch. sitzt seither in U -Haft. Er hatte nach der Tat selbst die Polizei benachrichtigt und bei seiner Festnahme angegeben, er habe zugestochen, weil er nicht zulasse, daß seine Verlobte von zwei Ausländern belästigt werde.
Auch gestern blieb Anderas Sch. dabei, daß er und seine Verlobte von den beiden Türken beschimpft worden seien, schilderte das eigentlich Tatgeschehen aber ganz anders. Seinen Angaben zufolge waren die beiden Türken die ganze Zeit hinter ihm und seiner Freundin hergelaufen und hätten Sprüche wie „Deutschland gehört uns sowieso bald“ gemacht: „Ich hatte das Gefühl, daß sie
uns verfolgen“, sagte der Angeklagte, der nur erwidert haben will: „Das glaube ich nicht“. Zu der Eskalation sei es gekommen, als seine Freundin sich den Türken mit den Worten zugewandt habe: „Wollt ihr irgentwas“? Daraufhin, so Andreas Sch., „ist der eine ganz wütend auf Sabine losgegangen. Er hatte schon die Hände ausgestreckt und wollte sie packen, da bin ich dazwischen.“ Dann, so Andreas Sch., sei er selbst gepackt worden. Plötzlich habe er ein Messer in der Hand gehabt, sei „gestolpert“ und habe dann nur noch Blut gesehen. Der gerichtsmedizinische Sachverständige schloß in seinem Gutachten aus, daß die Verletzung Sahins durch ein Stolpern entstanden sein kann.
Demgegenüber beschrieb der Zeuge Murat P. den Tatverlauf gestern wie folgt: Er sei mit Ufuk spazierengegangen und dabei auf den ihm bis dahin unbekannten Angeklagten und dessen Freundin gestoßen. Andreas Sch. habe zu der Frau gesagt: „Nachdem die Ausländer in
so großen Mengen hier sind, haben wir keine Sicherheit. Sieh mal, da kommen zwei Kanaken.“ Er und Ufuk hätten nichts erwidert und seien von dem Mann an der nächsten Ecke wieder angepöbelt worden: „Ausländer raus, Deutschland gehört den Deutschen.“ Daraufhin sei Ufuk Sahin mit den Händen auf dem Rücken vor den Mann hingetreten und habe ihn gefragt, warum er so etwas sage, er (Ufuk) sei doch auch ein Mensch. Da habe der Angeklagte mit den Worten: „Was sagst du Kanake?“, zugestochen.
Sabine L., die die Verlobung mit dem Angeklagten inzwischen aufgekündigt hat, schloß nicht aus, daß Andreas Sch. die Türken mit: „Wollt ihr was?“ als erster angesprochen hat. Sie bestätige, daß sie sich von den beiden Ausländern belästigt gefühlt habe. Anfreas Sch. und der Mann hätten „angefangen, sich rumzuschubsen“. Dann habe sie Blut gesehen. Die Zeugin erklärte, daß sie Strafanzeige wegen Nötigung erstattet habe, weil sie von
einem Bruder des Getöteten damit bedroht worden sei, sie wäre „dran“, wenn sie eine Aussage mache „die Türken schadet“. Der Prozeß wird am Montag fortgesetzt.
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