Viel Papier und 20 Stellen gegen rechts

■ Dicke Unterrichtsmaterialien gegen Neonazis vorgestellt / Senator Franke will zwanzig Stellen für Jugend-Sozialarbeit an Brennpunkten schaffen

BuchhändlerInnen wissen es schon lange: Wenn überhaupt jemand noch viele Sachbücher mit nach Hause nimmt und dort reihenweise ins Regal stellt, dann die Lehrerinnen und Lehrer. Nach diesem Erfahrungssatz scheint auch die Bildungsbehörde zu handeln. Auf einer Pressekonferenz stellte sie gestern drei Werke für die 6.000 bremischen LehrerInnen vor, alle zum aktuellen Problemkreis „Rechtsextremismus“. Am dicksten geraten ist der von der Lehrerin Elke Kröning zusammengestellte Band „Materialien zum Rechtsextremismus“. Er beinhaltet, übersichtlich gegliedert, Zeitungsberichte und Wahlanalysen, wissenschaftliche Untersuchungen und Bürgerschaftsdebatten.

Nur am Rande geht es in diesem Band darum, wie LehrerInnen angemessen im Schulalltag auf die Hakenkreuze an der Tafel und den Führergruß im Klassenzimmer reagieren können. Wie sie es vermeiden, die Polarisierung veranzutreiben und sich provozieren zu lassen, wie sie es verhindern, daß den SchülerInnen das Thema „Rechtsextremismus“ bald genauso zum Halse heraushängt, wie die „Weimarer Republik“ oder die „punischen Kriege“.

Diesem Fragenkomplex nähert sich das zweite vorgestellte Schriftwerk: die Materialien des „Wissenschaftlichen Instituts für Schulpraxis“ mit dem Titel: „Rechtsextremistische Tendenzen unter Jugendlichen - Bei

spiel Skinheads“. Der Band, der eine Vielzahl von Graffitis, Fotos und Artikeln zum Thema „Skinheads“ bündelt, hat den Untertitel: „Handreichungen zum Erstellen einer Ausstellung mit Schülergruppen“. An der Schule Lothringer Straße war es gelungen, SchülerInnen tatsächlich zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema zu bringen, sie hatten gemeinsam eine Ausstellung zu „Skinheads“ erarbeitet, und einige Schüler hatten daraufhin ihre provozierenden rechtsextremen Embleme abge

legt. Das dritte Schriftwerk ist weniger umfangreich. Es ist eine Zusammenstellung der Landesbildstelle über die verfügbaren audiovisuellen Medien zu „Faschismus in Deutschland“ und „Neofaschismus“.

Bildungssenator Horst-Werner Franke machte jedoch trotz dieser vorzeigbaren Materialberge deutlich, daß er nicht davon ausgeht, „daß die Schule das Problem Rechtsextremismus lösen kann“. Hinter dem Rechtsextremismus unter den SchülerInnen steckte „sozial Defizitäres“:

Jugendarbeitslosigkeit, Jugendalkoholimus, Gewalttätigkeit und Zerrüttung in Familien, sowie gesellschaftliche Ausgrenzung. Vor allem HauptschülerInnen wendeten sich den Skinheads und den Babyskins zu. An der Schule Ronzelenstraße in Horn war die Konfrontation einst so eskaliert, daß die Polizei zu Hilfe geholt wurde, um den Belagerungsgürtel der Skins zu durchbrechen.

Doch das Bemerkenswerteste an den Erkenntnissen des Bildungssenators über das „sozial Defizitäre“ in der heutigen Ju

gend: Er will sich diese Erkenntnis etwas kosten lassen. Franke, der wie sein Kollege vom Jugendressort, Henning Scherf, in den letzten Jahren kontinuierlich Stellen in der Jugend-Sozialarbeit gestrichen hatte, will mit Scherf zusammen zum nächsten Schuljahr

20 Sozialarbeiter- und SozialpädagogInnen einstellen: In vier sozialen Brennpunkten soll der „Lernort“ Schule zu einem „Lebensort“ ausgeweitet werden. Das ist mit Papierbergen allein tatsächlich nicht zu schaffen.

Barbara Debus