Toast auf die finnische Neutralität

■ Gorbatschow will „Finnlandisierung“ beenden / Begeisterter Empfang für sowjetischen Staatschef bei erstem Besuch in Helsinki / Moskau betrachtet die bilateralen Beziehungen als „besonders“

Helsinki (afp/taz) - Bereits am ersten Tag seines Finnland -Besuches sprach der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow eine langersehnte Anerkennung aus: Bei einem Toast grüßte er das „neutrale Finnland“. Mit dieser kurzen Bemerkung kam Gorbi seinen Gastgebern entgegen, die sich von der ersten offiziellen Visite eines sowjetischen Staatsoberhauptes in Finnland seit 1975 eine formelle Anerkennung ihrer Neutralität erhoffen. Gorbatschow nannte die bilateralen Beziehungen ein Modell für Beziehungen zwischen großen und kleinen Ländern und zwischen Staaten mit unterschiedlichen Systemen.

Mit Gorbatschow kommt erstmals ein sowjetischer Staatschef nach Finnland, der dem Land vorbehaltlos gegenübertritt. Entsprechend freundlich fiel die Aufnahme für ihn aus. Nach seiner ersten Unterredung mit dem finnischen Präsidenten Mauno Koivisto konnte Gorbatschow auf Helsinkis Straßen sein „Bad in der Menge“ nehmen. Dabei traf er auch einige DemonstrantInnen, die auf Transparenten die Rückgabe von Karelien verlangten, das Finnland nach dem Winterkrieg 1940 an die UdSSR abgeben mußte.

Der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, Gennadi Gerassimow, betonte, Moskau betrachte seine Verbindungen zu Finnland als „besonders“, anders als zu irgeneinem anderen Land in Ost- oder Westeuropa. Der Sprecher erinnerte an die Unterzeichnung der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki. Dieser Prozeß gewinne an Kraft, und die politische Karte Europas wandle sich. In Anspielung auf den Vorschlag des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse, den Warschauer Pakt und die NATO aufzulösen, meinte der Sprecher, die politische Landkarte werde sich noch weiter verändern.

Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und ihrem kleinen Nachbarn im Nordosten sind geprägt von einem 1948 unterzeichneten Freundschafts- und Beistandsabkommen, das Finnland dazu verpflichtet, gegen jeden Angriffsversuch auf die UdSSR via Finnland Widerstand zu leisten. Der Vertrag wurde 1955, 1970 und 1983 um jeweils 20 Jahre verlängert, ohne eine Veränderung im Vertragstext vorzunehmen. Jetzt wird erwartet, daß Gorbatschow eine politische Erklärung unterzeichnet, in der die Sowjets die finnischen Neutralität formell anerkennen und damit die „Finnlandisierung“ beenden.