Regenschirme wie im Märchen

■ Von der Ordnung des Verlorenen / Bremer Straßenbahn AG versteigerte ihre Fundsachen

Großes Gedrängel der Kauflustigen gestern in der Bremer Glocke. Holzkisten- und jutesackweise stapelten sich hier die Gegenstände, die übers Jahr in Bussen und Straßenbahnen liegengeblieben waren. Und weil Kleinvieh bekanntlich auch Mist macht, werden die Fundsachen einmal pro Jahr zu Gunsten des Sozialfonds der Bremer Straßenbahn-AG versteigert.

Vom Sirenengesang der beiden Obergerichtsvollzieher Stehmeyer und Hoyer unwidersehlich angelockt, taumelten Scharen von Menschen zum Versteigerungstresen und verfolgten mit verdrehten Augen die wohlfeilen Köstlichkeiten. Viele schöne Dinge aus 1001 Straßenbahnnächten gab es hier zu ersteigern: alte Regenschirme, ausgelatschte Schuhe, Strickjacken, Fäustlinge und olle Einkaufstaschen in unbeschreiblicher Pracht und Auswahl.

Dargeboten wurden die hochgepriesenen Devotionalien von den Auszubildenden der BSAG, die in lässiger Dressman-Manier an den verzückten Kaufjüngern vorbeidefilierten. Wem hier nicht das versteinerte Käuferherz weich wurde, der war für den Liebreiz des Irdischen auf ewig verloren.

Hier wurden bereits die Ersten Weihnachtsgeschenke im Schweiße der ausgestreckten

Hand ersteigert. Und Hand aufs Herz: Wer denkt nicht auch bei Geschenken für die Liebsten hin und wieder an die Ökonomie? Das Schnäppchen schien geglückt. Schade nur, daß das gebrauchte Skateboard im Handel neu billiger war.

Im öffentlichen Leben hat alles seine Ordnung. Die beamteten Zeremonienmeister absolvierten ihr Versteigerungspensum unter den Argusaugen einer vierköpfigen Jury. Jede alte Plastiktüte und jedes 12er Pack Klopapier (übrigens der einzige Artikel, der nicht gebraucht war) wird hier registriert, ausgezeichnet, kassiert und mit Häkchen versehen. Und am Ende des Tages wird ein hüb

sches Sümmchen um 15.000 Mark in der Kasse klingeln.

Was da rauchte, war nicht der Geist aus Aladins Lampe, sondern die Stimmbänder der Obergerichtsvollzieher. Im Stundenrythmus wechselten sie sich ab und gossen ordentlich Öl auf das Feuer der Kunden: „Ich würde jetzt an ihrer Stelle zehn sagen, sonst ist er weg.“ Zu spät. „Acht zum ersten, zum zweiten und zum....dritten.“ Aus der Traum vom neuen Einkaufsbeutel. Und weil das Leben so hart ist, kauft man stattdessen eben drei Regenschirme für zehn, für zwölf, für fünfzehn Mark. Das ist praktisch, denn die vergißt man meistens in der Straßenbahn.

mad